Online-Ausstellung

Kontinuität rechten Terrors in Sachsen seit 1990

2009, Limbach-Oberfrohna

„So „lernten“ wir Stück für Stück, welche Orte wir nicht betreten durften, an welchen Orten es zu welcher Zeit für uns einfach zu gefährlich war.

Wir sahen Unmengen von Nazis, die sich in der Stadt versammelten und mit ihren Autos durch Limbach fuhren. Es war eine wahnsinnig angespannte, explosive Stimmung und allen war klar, dass noch etwas passieren würde. Einige Stunden später brannte das Erdgeschoss unseres Vereinshauses.“

Redebeitrag

Hallo und vielen Dank, dass wir hier heute etwas über uns und unsere Erlebnisse erzählen können. Leider können wir nicht selbst da sein und darüber berichten, sondern „nur“ diesen Text schreiben.

Meine Freund*innen und ich wuchsen in Limbach-Oberfrohna, einer kleinen Stadt nicht weit von Chemnitz entfernt, auf. Wir waren Punks und sahen auch so aus.

Das erste Mal Stress mit Nazis hatte ich mit 13 Jahren, ich hatte erst seit kurzem einen Iro und lief abends gemeinsam mit einer Freundin nach Hause. In der Innenstadt kamen wir an zwei Typen vorbei, die uns „Ey, ihr Scheiß-Zecken“ hinterher riefen. Als wir nicht reagierten, verfolgten sie uns und fingen an, uns zu beschimpfen. Keine*r um uns herum reagierte darauf oder half uns und meine Freund*in und ich rannten schließlich so schnell wir konnten nach Hause.

Ein paar Monate später gab es in Limbach das jährlich für 10 Tage stattfindende Stadtparkfest, eine Art Rummel mit Fahrgeschäften und Fressbuden. Am Nachmittag war ich mit ein paar Freund*innen dort. Es kamen Nazis auf uns zu, riefen irgendwas und prügelten auf einen von uns ein. Einer der Nazis zog ein Messer und nur durch Glück löste sich die Situation auf und wir konnten verschwinden. Auch dieses Mal griff niemand der Umstehenden ein, obwohl es mitten auf dem Fest unter vielen Leuten am helllichten Tag war.

Ähnliche Situationen erlebten wir auf Dorffesten, im örtlichen Jugendhaus oder an anderen öffentlichen Orten in der Stadt. Einem Freund wurden zwei Zähne ausgeschlagen, die wir am nächsten Tag, als es wieder hell und ungefährlich war, suchen gingen. Ein anderer wurde vor dem Jugendhaus solange gewürgt bis er bewusstlos war.

So „lernten“ wir Stück für Stück, welche Orte wir nicht betreten durften, an welchen Orten es zu welcher Zeit für uns einfach zu gefährlich war.

Nach der Schule konnte ich nicht auf direktem Weg nach Hause gehen, da um diese Zeit immer viele Nazis auf dem Marktplatz standen. Wenn es Abend wurde, machte ich einen großen Bogen um die Shell-Tankstelle und den gegenüberliegenden Park oder dem Kaufland, wo sich am Wochenende die Nazis trafen.

2008 schlossen wir uns zusammen, wir wollten nicht immer nur Opfer sein und uns verstecken, sondern die Probleme, die wir hatten, öffentlich machen. Einen eigenen Raum aufbauen, in dem wir einen Platz hatten, in dem wir keine Angst vor Nazis haben mussten.

Wir gründeten einen Verein – die Soziale & Politische Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna e.V. und mieteten eigene Ladenräume in der Innenstadt an. Doch schon vor der Eröffnung wurden alle Scheiben des Ladens eingeschlagen.

Wir veranstalteten verschiedene Filmabende, Vorträge, Partys – doch immer wieder gab es Angriffe von Nazis – in den ersten drei Monaten über 30 mal. Es wurde eingebrochen, die Einrichtung zerstört, Leute auf dem Nachhauseweg abgefangen und zusammengeschlagen, die Wände mit Hakenkreuzen und Naziparolen besprüht, Nazis trafen sich vor dem Laden und bedrohten die Besucher*innen. Nach drei Monaten kündigten uns die Vermieter*innen, da sie uns als Verursacher*innen des Stresses ansahen und darauf keine Lust mehr hatten.

Aus Mangel an Möglichkeiten entschlossen wir uns ein eigenes Haus zu kaufen und auszubauen, um so nicht mehr abhängig von der Laune eines*r Vermieters*in zu sein. Aber egal, wohin wir gingen, die Nazis wussten sofort Bescheid und die Übergriffe gingen weiter.

Seinen Höhepunkt fand die Nazigewalt in einem Brandanschlag auf unser Vereinsdomizil im November 2010. Im Vorfeld des Anschlages wurden meine Freund*innen und ich auf dem Nachhauseweg von Nazis abgefangen und angegriffen. Einer von ihnen hatte eine Schreckschusspistole dabei. Wir retteten uns in mein nahegelegenes Elternhaus, eine Person musste ins Krankenhaus.

Als ich danach mit meiner Mutter durch die Stadt fuhr, sahen wir Unmengen von Nazis, die sich in der Stadt versammelten und mit ihren Autos durch Limbach fuhren.

Es war eine wahnsinnig angespannte, explosive Stimmung und allen war klar, dass noch etwas passieren würde. Einige Stunden später brannte das Erdgeschoss unseres Vereinshauses. Die Nachbarn wurden evakuiert, verletzt wurde zum Glück niemand.

Ein Jahr später zog ich zusammen mit Freunden in eine WG. In der Wohnung nebenan richteten wir wieder kleine Ladenräume ein, um die Arbeit des Vereins weiterführen zu können.

Schon am ersten Wochenende stand eine große Gruppe Nazis vor dem Haus, warfen Flaschen, versuchten ins Haus zu gelangen. Am Tag danach begannen wir alle Fenster des Erdgeschosses zu vergittern.

Jedes Wochenende in im Sommer 2011 saßen wir jede Nacht bis es hell wurde am Fenster aus Angst, dass Nazis wieder angreifen würden. Wir gingen nicht mehr weg, sondern saßen zu Hause vor dem Fenster und beobachteten die Straße.

In regelmäßigen Abständen fuhren wir mit dem Auto durch die Stadt an den Plätzen vorbei, an denen sich immer viele Rechtsradikale treffen, um vorgewarnt zu sein, falls sich große Gruppen in der Stadt sammeln würden. In diesen Nächten schlief ich schlecht.

Wir wohnten im Erdgeschoss. Zwar hatten wir vergitterte Fenster, trotzdem schreckte ich bei jedem zu lauten Knallen einer Autotür oder einem lauten Schreien auf der Straße auf und lauschte, ob die Personen weitergingen oder nicht.

Bis heute ist dieses unbehagliche Gefühl geblieben und alte Verhaltensweisen sind Teil des Alltags geworden. Noch immer laufe ich zum Fenster, wenn draußen auf der Straße eine Gruppe Menschen (zu) laut vorbeigeht oder irgendwo ein Knall zu hören ist. Noch immer fahre ich nachts erst einmal langsam an der Tankstelle vorbei, um zu sehen, ob Nazis da sind oder ich tanken kann. Noch immer plane ich ein, zu bestimmten Terminen wie dem Stadtparkfest oder an Hexenfeuer zu Hause zu sein – für den Fall, dass etwas passiert.

Danksagungen

Die Ausstellung wurde finanziell durch die Deutsche Postcodelotterie unterstützt.

Diese Künstler*innen waren an der Gestaltung beteiligt:

Ton,- Videoaufname, Schnitt: Gerog Spindler und Annett Schudeja, https://binario-stern.de

Grafic Recording: Julia Kluge, http://www.kluugel.de

Gestaltung Stellwände und Desingvorlage für Website: Norma Scheibenhof, https://www.kollektivdesign.com

Programmierung und Gestaltung website: Afeefa Kollektiv

Die Veranstaltung war möglich im Rahmen des NSU Tribunal. https://www.nsu-tribunal.de