Online-Ausstellung

Kontinuität rechten Terrors in Sachsen seit 1990

1991, Hoyerswerda

„Aber die meisten Leute, die da waren, waren unsere Nachbarn, also Leute, die mit uns zusammengearbeitet haben, Leute, die ebenfalls in Hoyerswerda wohnen, also einfach die Bevölkerung. Am meisten Jugendliche. Deren Eltern standen hinten und haben dazu gebrüllt und in die Hände geklatscht, den Jugendlichen Mut gemacht, dass sie weitermachen sollten.

Heute leugnen sie es, weil sie sich schämen, um Vergebung zu bitten. Sie sind zu dieser Geste nicht in der Lage und werden es nie sein.“

Redebeitrag

Die Angriffe im September 1991 in Hoyerswerda richteten sich gegen Unterkünfte von mosambikanischen und vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchenden. Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik und Vietnam wurden ab 1979 bzw. 1980 in die DDR geholt und arbeiteten hier für viele Jahre, weil sie im Wirtschaftssystem der DDR dringend gebraucht wurden. Sie verrichteten unbeliebte und schwere Arbeiten, erhielten oft nur unzureichende Ausbildung und wurden planmäßig unterbezahlt. Teile ihrer Gehälter wurden zum einen einbehalten, um angeblich später, nach ihrer Rückkehr in die Heimatländer, ausgezahlt zu werden. Zum anderen wurde ihre Arbeitskraft ohne ihr Wissen auch zur Begleichung von Staatsschulden benutzt. Integration sowie ein dauerhafter Aufenthalt waren vonseiten der DDR nicht erwünscht. Die Unterbringung fand in Wohnheimen statt, die von der Bevölkerung abgetrennt und isoliert waren. Entmündigende Alltagsregeln für die Vertragsarbeiter*innen sowie das Verbot, eine Familie zu gründen oder die eigene Familie nachzuholen, führten in Verbindung mit der ausbeuterischen Arbeitssituation zu einem Zustand von moderner Sklaverei in einem sozialistischen Staat. Gleichzeitig generierten sich unter der DDR-Bevölkerung Neiddebatten, Missgunst und Misstrauen und der Mythos, die DDR-Arbeiter würden durch die Vertragsarbeiter*innen übervorteilt.

Die Zeit der Wende ist für die Vertragsarbeiter*innen untrennbar mit der Erfahrung von Gewalt, dem endlich entfesselten Rassismus und der Entsolidarisierung durch ihre Nachbar*innen und Kolleg*innen verbunden.

Angriffe durch Neonazis fanden in der Umgebung, und in Hoyerswerda selbst, in den Jahren um die Wende immer öfter statt. So auch am 1. Mai 1990, als sich eine Gruppe Mosambikaner zur Wehr zu setzen versuchte, nachdem einer von ihnen auf dem Rummelplatz überfallen und schwer verletzt worden war. Daraufhin wurde auch die Unterkunft der mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen von einem Mob angegriffen und teilweise zerstört, und von einer sehr großen Gruppe Schaulustiger wurde Beifall gespendet.

(Harry Waibel(https://www.hoyerswerda-1991.de/files/Angriffe/Neonazistische%20Tendenzen%20in%20Hoyerswerda%20vor%201991/Chronik_Dr_Harry_Waibel.pdf)

(Quelle: die tageszeitung, 7.5.1990 u. 2.1.1992; Siegler, S. 37f; Hirsch/Heim, a.a.O., S. 117f; Borchers, S. 32–33)

Im Herbst 1991 belagerten, bedrohten und attackierten Neonazis und andere Einwohner*innen von Hoyerswerda tagelang die Wohnheime der Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchenden und die Menschen, die darin lebten. Es wurden Parolen gerufen, Steine und Molotow-Cocktails als Waffen eingesetzt.

Sehr viele Anwohner und direkte Nachbar*innen solidarisierten sich mit den Angriffen, feuerten die Angreifenden an, sahen tatenlos zu, halfen aber auch beim Herstellen von Molotow-Cocktails oder applaudierten den Angreifern. Unter ihnen befanden sich auch viele Kollegen der Vertragsarbeiter aus dem Braunkohletagebau. Teilweise standen bis zu 500 Personen vor den Heimen und beteiligten sich an dem Pogrom. Die Polizei griff kaum ein.

Schließlich wurde circa. die Hälfte der Vertragsarbeiter*innen aus der Albert-Schweitzer-Straße am 21. September mit Bussen aus Hoyerswerda weggebracht. Fast alle wurden direkt nach Frankfurt am Main oder Berlin transportiert und von dort aus abgeschoben. Ca. 70 Vertragsarbeiter, deren Arbeitsverträge noch bis Monatsende gültig waren, blieben zunächst im Gebäude. Die Asylsuchenden aus der Thomas-Müntzer-Straße wurden am 23. September unter SEK-Begleitung mit Bussen auf Unterkünfte im Landkreis, in Meißen und in Pirna verteilt. Die meisten von ihnen flüchteten aber in Eigeninitiative nach Berlin und Niedersachsen weiter.

Manuell Alexandre Nhacutou beschreibt die Angriffe auf die Albert-Schweitzer-Straße in einem Film der Videowerkstatt autofocus 1992 so:

„September `91 war ich noch in Hoyerswerda, als die Angriffe anfingen, und musste noch arbeiten, konnte aber leider nicht mehr aus dem Haus gehen. Genauso wie alle anderen unserer Kollegen mussten wir im Heim bleiben, mit Polizeischutz, der allerdings erst später gekommen ist.

Gesehen habe ich Massen an Leuten unten, bewaffnet mit Stöcken, mit Steinen, mit Flaschen mit Feuer, welche geworfen wurden. Und wir waren natürlich ganz hoch oben. Die Leute, die im 2. bzw. 3. Stock gewohnt haben, mussten auch wegziehen in den 9. Stock oder 6. Stock. Und als die Krawalle anfingen, ich glaube, diese Krawalle hätten auch keine großen Ausmaße erreicht, wenn die Polizei gleich etwas getan hätte. Also, als die Polizei kam, das waren zwei PKWs, die haben sich in eine Ecke gestellt und zugeguckt, wie wir uns unten gegen die Skinheads gewehrt haben. Also, am ersten Tag haben wir versucht, uns zu wehren. Wir haben auch mit Steinen und Flaschen die Leute vertrieben. Die liefen weg und kamen wieder. Mehrere Leute sind dabei verletzt worden. Die Situation hatte sich zugespitzt, das heißt, immer wieder kamen mehr Leute. Also, ich glaube, die haben irgendwie Verstärkung geholt. Allerdings muss ich sagen, die Skinheads, die ich gesehen habe, waren sehr wenige. Aber die meisten Leute, die da waren, waren unsere Nachbarn, also Leute, die mit uns zusammengearbeitet haben, Leute, die ebenfalls in Hoyerswerda wohnen, also einfach die Bevölkerung. Am meisten Jugendliche. Deren Eltern standen hinten und haben dazu gebrüllt und in die Hände geklatscht, den Jugendlichen Mut gemacht, dass sie weitermachen sollten.

Viele Leute habe ich erkannt, sogar Namen könnte ich jetzt nennen. Aber ich glaube, dass das Quatsch ist, weil es zu viele waren. Sonst würde ich hier bis morgen aufzählen. Aber der große Teil waren unsere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen und viele Leute. Skinheads, die ich gesehen habe, waren … also, mehr als 15 waren das nicht, also wenig! Wenig! Und daher verstehe ich nicht, dass jemand als Ausrede sagen könnte, die Ausländerfeindlichkeit ist wegen der Arbeitslosigkeit. Denn wie gesagt, vorher hatte die LAUBAG (Lausitzer Braunkohle AG) in der Betriebszeitung angekündigt, uns alle nach Hause zu schicken, planmäßig. Und jeder in der LAUBAG wusste es. Es gab keinen Grund uns anzugreifen. Der andere Punkt ist, sehr viele Arbeitskollegen, die mit uns zusammengearbeitet haben, wussten sogar den Zeitpunkt wann wir fliegen sollten. Trotzdem waren diese Angriffe. Ich glaube, das hat mit sozialen Problemen nichts zu tun, man versucht nur, das als Ausrede so darzustellen. Aber im Grunde hat das mit anderen Problemen zu tun.“

Auch David Macou hat das Pogrom von Hoyerswerda überlebt.

Er wurde 1959 in Mosambik geboren und gehört zu einer der ersten Gruppen von Vertragsarbeiter*innen, die 1979 in die DDR geschickt wurden. Im Braunkohlewerk Welzow in der Lausitz erhielt er eine Ausbildung zum Schweißer.

Er ist Teil der letzten Gruppe, die im November 1991 aus Hoyerswerda zurück nach Mosambik geschickt wurde. Die Rückkehrer*innen erwarteten die Auszahlung ihrer transferierten Löhne in Mosambik. Als aber deutlich wurde, dass die Regierung dieses Geld nicht auszahlen wird, organisierte Macou gemeinsam mit anderen den Protest. Seit 1993 kämpfen sie mit wöchentlichen Demonstrationen um die Auszahlung ihrer Löhne.

(https://bruderland.de/protagonists/david-macou/)

Für Unteilbar im August 2019 verfasste David Macou eine Grußbotschaft, die wir hier zu Gehör bringen wollen.

Die Ereignisse von Hoyerswerda können auf der umfangreichen Webdokumentation Hoyerswerda-1991.de nachvollzogen werden. Viele Betroffene kommen dort auch zu Wort.

Hoyerswerda- NSU-Tribunal 2019.png

Grußwort für Unteilbar August 2019

Meine Zeit in Hoyerswerda – Grußbotschaft von David Macou (August 2019)

Ich heiße David Macou, bin 59 Jahre alt und mosambikanischer Staatsbürger. Ich hatte das Privileg, zwischen 1979 und 1991 Deutschland, beziehungsweise die ehemalige DDR kennenzulernen.

Ich war Teil der ersten Gruppe mosambikanischer Vertragsarbeiter, die im Kombinat VE BKK Senftenberg ankamen, speziell im Tagebau des VEB BKW WELZOW. Wir wohnten in Hoyerswerda, Clara-Zetkin-Straße 5.

Hoyerswerda, die unvergessliche Stadt in meinem Leben, mein zweites Land, in dem ich die deutsche Sprache und meinen Beruf erlernte und sogar die Meisterprüfung in Metallbearbeitung und Schweißen ablegte. In den 12 Jahren voller Arbeit, in dieser Stadt, lernte ich die Lehren des Lebens – Gute und Schlechte.

Ich möchte der Bewegung „Hoyerswerda hilft mit Herz“ gratulieren. Diese Bewegung hat vor 40 Jahren gefehlt. Damals waren wir gezwungen, immer nur in Gruppen rauszugehen, um den Gefahren und dem alltäglichen Rassismus in Zügen, Bussen, Restaurants, Jugendclubs und in vielen Bereichen der Arbeit zu entgehen. Unser Leben war nicht einfach. Wir wussten auch nicht, dass wir arbeiteten, um die Schulden des mosambikanischen Staates zu bezahlen. Dass wir im 20. Jahrhundert als junge Menschen ohne Zustimmung wie moderne Sklaven benutzt wurden.

Mit welcher internationalen Legitimität haben sie uns benutzt, um die Staatsschulden zu bezahlen?

Deutschland, der große Verteidiger der Menschenrechte, wie kann eine Ungerechtigkeit dieser Größenordnung zugelassen werden?

Damals war das Zusammenleben mit anderen Jugendlichen sehr schwierig. Unsere schwarze Haut litt zu sehr. Junge Menschen riefen uns hinterher: „Es wird zu dunkel“, „Guck mal, Kohle“, „Deutschland für die Deutschen“, „Neger klatschen ist ein Volkssport“, „Neger raus“.

Diese jungen Menschen sind heute über 60 Jahre alt. Denken sie, dass sie es geschafft haben, Deutschland zu befreien, in dem sie die Ausländer damals vertrieben haben? Ich stelle diese Frage, denn als ich im März Hoyerswerda, meine Heimatstadt, besuchte, sagte niemand, dass sie die mehr als 100 jungen Menschen hörten oder sahen, die laut „Ausländer raus“ geschrien und mit Steinen geworfen haben. Niemand erinnerte sich daran, dass die Zuschauer dabei in die Hände klatschten.

Heute leugnen sie es, weil sie sich schämen, um Vergebung zu bitten. Sie sind zu dieser Geste nicht in der Lage und werden es nie sein.

Brüder von Hoyerswerda, wie viele unschuldige Seelen haben ihr Leben verloren, weil sie eine andere Haut haben? Mosambikaner wurden vor Züge geworfen oder es wurde ihnen anders Gewalt angetan. Brüder und Schwestern, Gott hat uns die Seele und die Erde geliehen, die für jeden von uns Platz hat. Er hat niemandem den Vorrang gegeben, den anderen zu töten, weil er eine andere Haut hat. Was am 01.05.1990 und September 1991 in Hoyerswerda geschah, darf nie wieder geschehen. Hoyerswerda muss hart arbeiten, um ein Beispiel zu geben. Seit vielen Jahren wollen wir wissen, welche Motivation es für diesen Krieg gegen uns gab. Wir sind Menschen und verdienen eine überzeugende Erklärung.

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Danksagungen

Die Ausstellung wurde finanziell durch die Deutsche Postcodelotterie unterstützt.

Diese Künstler*innen waren an der Gestaltung beteiligt:

Ton,- Videoaufname, Schnitt: Gerog Spindler und Annett Schudeja, https://binario-stern.de

Grafic Recording: Julia Kluge, http://www.kluugel.de

Gestaltung Stellwände und Desingvorlage für Website: Norma Scheibenhof, https://www.kollektivdesign.com

Programmierung und Gestaltung website: Afeefa Kollektiv

Die Veranstaltung war möglich im Rahmen des NSU Tribunal. https://www.nsu-tribunal.de