Statistik 18. März 2020

Rechtsmotivierte und rassistische Gewalt in Sachsen 2019

Im Jahr 2019 zählten die Opferberatungsstellen in Sachsen 226 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe. Damit sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahr (317) um 29%. 276 Menschen waren von diesen Angriffen direkt betroffen. Im 10-Jahresverlauf hält sich die Anzahl rechtsmotivierter und rassistischer Angriffe in Sachsen unverändert auf einem anhaltend hohen Niveau.

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Angriffe im Überblick

Im Jahr 2019 wurden in Sachsen 226 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe verübt. Damit sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahr (317) um 29%. 276 Menschen waren von diesen Angriffen direkt betroffen. Im 10-Jahresverlauf hält sich die Anzahl rechtsmotivierter und rassistischer Angriffe in Sachsen unverändert auf einem anhaltend hohen Niveau von durchschnittlich 240 Angriffen im Jahr mit anlassbedingten Ausschlägen nach oben oder unten. So liegen die überdurchschnittlich hohen Angriffszahlen 2015 und 2016 im zugespitzten Diskurs und in den rassistischen Mobilisierungen gegen die Aufnahme Geflüchteter begründet, während der Anstieg 2018 vor allem in den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz in August und September seine Ursache hatte.

Für das Jahr 2019 lassen sich rückblickend keine spezifischen Schwerpunkte, weder regional, noch thematisch ausmachen. Stattdessen zeigt sich ein unveränderter gesellschaftlicher Zustand in Sachsen (und darüber hinaus), der sich durch einen nach rechts verschobenen Diskurs, in Teilen offen artikulierten Rassismus und nicht zuletzt durch eine gewachsene Einflussnahme durch die AfD in Kommunalparlamenten und Landtag geprägt ist. Zudem wurden 2019 zwei rechtsterroristischen Anschläge verübt: der Mord an Walter Lübcke in Kassel und der Anschlag auf eine Synagoge und ein Dönerlokal in Halle. Auch traten wiederholt rechtsterroristische Netzwerke, in Erscheinung, die sich mit sogenannten Feindeslisten, Waffen, Munition, Leichensäcken und Ätzkalk offenbar auf einen Tag X vorbereiteten.

In diesem gesellschaftlichen Klima sind Betroffene mit Anfeindungen, und Alltagsrassismus konfrontiert, die in ihren Wirkungen auf Betroffene, Community und Gesellschaft kaum weniger folgenreich sind, als physische Gewalttaten, die in die vorliegende Statistik rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt einfließen.

Von den 226 Angriffen sind 276 Menschen direkt betroffen gewesen. Zum größten Teil waren dies Männer (162) und in erster Linie Erwachsene (197), aber auch Jugendliche (13) und Kinder (17) wurden aus rechten Motiven angegriffen. Zwar ging die Gewalt gegen Kinder im Vergleich zum Vorjahr (65) deutlich zurück, dennoch zeugen Angriffe auf Kinder von der besonderen Verrohung aufgrund von Ideologien der Ungleichwertigkeit.

Die 17 Kinder waren in elf Fällen rechtsmotivierter Gewalt direkt betroffen. Diese elf Angriffe waren bis auf zwei Ausnahmen alle rassistisch motiviert. In fünf Fällen handelte es sich Bedrohungen zum überwiegenden Teil in der Nachbarschaft. In sechs Fällen wurden Kinder körperlich attackiert, zwei besonders drastische Angriffe wurden in Dresden und in Sebnitz, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge verübt.

Der Anteil der Fälle, in denen Anzeige erstattet wurde, beläuft sich wie auch in den zurückliegenden Jahren bei ca. ¾, d.h. 172 der Angriffe sind polizeibekannt, lediglich 40 wurden nicht angezeigt, in 14 ist es nicht bekannt. Von diesen 172 polizeibekannten Gewalttaten sind aktuell 100 Fälle auch offiziell als PMK rechts gewertet, soweit dies aus den vom Innenministerium im Zuge monatlicher kleiner Anfragen im Sächsischen Landtag herausgegebenen Straftaten im Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" hervorgeht.

Regionale Verteilung und Schwerpunkte

Nachdem der Schwerpunkt der Gewalt im Jahr 2018 mit einer Vervierfachung der Angriffszahlen in der Stadt Chemnitz (79) lag, reduzierte sich diese dort um 75% wieder auf 19 Angriffe im Jahr 2019. Schwerpunkt waren im zurückliegenden Jahr erneut die Großstädte Leipzig (62) und Dresden (53).

Gleichauf mit der Stadt Chemnitz liegt der Landkreis Leipzig (20) der kontinuierlich eine Schwerpunktregion rechter Gewalt in Sachsen darstellt. Auch die Landkreise Nordsachsen (13), Bautzen (12) und Erzgebirge (12) weisen seit Jahren hohe Angriffszahlen auf, so auch wieder 2019, gefolgt von den Landkreisen Zwickau (9), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (8) und Görlitz (7). Die Landkreise Mittelsachsen (3) und Meißen (3) verbleiben auf niedrigem Niveau wie auch der Vogtlandkreis (5) nach einem deutlichen Rückgang um knapp 70% im Vergleich zu 2018. Während überall die Angriffszahlen zum Teil stark zurückgingen, verdreifachte sich die Anzahl dagegen im Erzgebirgskreis.

Auch im Verhältnis zur Einwohner*innenzahl bleibt das Bild der Schwerpunkte rechter Gewalt in Sachsen erhalten. Je 100.000 Einwohner*innen wurden in Leipzig 11,9, in Dresden 10,1 und in Chemnitz 7,9 Angriffe verübt. Der Landkreis Leipzig sticht mit 7,7 und der Landkreis Nordsachsen mit 6,5 Angriffen hervor. Erst mit deutlichem Abstand folgen wie auch in absoluten Zahlen die Landkreise Bautzen (3,9), Erzgebirge (3,4) und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (3,3).

Straftatbestände und Tatmotive

Überwiegend handelte es sich bei den Angriffen 2019 um Körperverletzungsdelikte (153), in 55 Fällen um eine Nötigung oder Bedrohung. Eine Brandstiftung wurde verübt, 11 massive Sachbeschädigungen und 6 Sonstige Gewalttaten, wie Raub oder Landfriedensbruch.

Seit 2014 sind ca. 2/3 der Angriffe aufgrund von Rassismus, darunter antimuslimischer, antiromaistischer und antischwarzer Rassismus, verübt wurden, so auch 2019. Rassismus ist in 138 Fällen das Tatmotiv gewesen, 45 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen. In 25 Fälle richtete sich die Gewalt gegen Nichtrechte und Alternative, in sechs Fällen gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/geschlechtlichen Identität. Ein Angriff war antisemitisch motiviert und einer war gegen einen Menschen mit Behinderung gerichtet. In zehn Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar, zumeist aufgrund mangelnder Angaben zum Themenfeld in den Antworten auf die monatlichen kleinen Anfragen zu PMK rechts im Sächsischen Landtag.

Angriffsorte

2019 wurde ein Viertel der Angriffe im öffentlichen Raum verübt. 25 Angriffe wurden in der Wohnung oder im Wohnumfeld verübt und weitere 34 Angriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an Bahnhöfen und Haltestellen. Die Angriffe im Umfeld von Demonstrationen sind im Vergleich zu 2018 wieder deutlich zurückgegangen, wenn auch 16 Angriffe nach wie vor Demonstrationen zu einem signifikanten Ort rechter Angriffe machen. Mit 9 von 16 Angriffen bildet hier Dresden, mit den noch immer stattfindenden Pegida-Demonstrationen einen Schwerpunkt. Hoch ist weiterhin die Zahl der Angriffe auf Wohnungen bzw. im Wohnumfeld. Das dominierende Tatmotiv hier ist Rassismus (76%) und regionale Schwerpunkte sind hier eindeutig die Großstädte Dresden (7) und Leipzig (8). Bei diesen Angriffen im Wohnumfeld handelte es sich um Bedrohungen und Nötigungen (13), Körperverletzungen (8), eine Brandstiftung und drei massive Sachbeschädigungen. Die 34 Angriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an Bahnhöfen und Haltestellen waren zum weit überwiegenden Teil rassistisch motivierte (28) Körperverletzungsdelikte (27). Auch hier sind die Großstädte Dresden (12) und Leipzig (11) mit Abstand Schwerpunkt.

Beratung Betroffener rechtsmotivierte und rassistischer Angriffe 2019

2019 unterstützten, begleiteten und berieten die Beratungsstellen des RAA Sachsen e.V. in insgesamt 254 Beratungsfällen. In diesen 254 Beratungsfällen wurden 361 Menschen beraten, sowohl Betroffene als auch Angehörige, Freund_innen oder Zeug_innen. 76 der laufenden Beratungsfälle konnten abgeschlossen werden. 179 Beratungsfälle wurden im Jahr 2019 insgesamt neu begonnen.

Während in 153 Beratungsfällen ein Angriff den Anlass für Betroffene bildete, Unterstützung in den Beratungsstellen zu suchen, lagen in 101 Fällen kein Angriff im Sinne unserer Gewaltdefinition vor. Es gab einen anderen Beratungsanlass, z.B. Bedrohungen unterhalb der Gewalttat, Beleidigung, Diskriminierung oder rechtliche Fragen.

Die 153 Angriffe, die den Beratungsfällen zugrunde liegen, stammen nicht alle aus dem Jahr 2019. Es können ebenso Angriffe aus vergangenen Jahren sein, deren Betroffene jedoch noch immer von den Beratungsstellen unterstützt werden.

Ein Beratungsfall kann sich je nach polizeilicher Aufklärung, juristischer Strafverfolgung oder notwendiger psychosozialer Beratung über mehrere Jahre erstrecken. Entscheidend für das Einfließen in die hier vorliegende Beratungsstatistik ist mindestens eine im Jahr 2019 erfolgte Unterstützungsleistung.

62 der 153 Angriffe, die Anlass von Beratungsfällen sind, fanden im Jahr 2019 statt. Das heißt auch, dass in 27% der im Jahr 2019 gezählten Angriffe (226) Betroffene Beratung des RAA Sachsen e.V. in Anspruch nahmen.

Bei den 153 Angriffen, in denen Betroffene unterstützt wurden, handelte es sich überwiegend um rassistisch motivierte Köperverletzungen. Aber auch in 3 zurückliegenden Mordfällen wurde beraten.

Beratungsnehmende und Unterstützungen

Beratung nahmen sowohl 319 Betroffene als auch 48 Andere Personen (Angehörige, Freund_innen, Zeug_innen …), also insgesamt 367 Menschen in Anspruch. Die 319 Betroffenen, die im Jahr 2019 durch die Opferberatungsstellen begleitet und unterstützt wurden, sind zum Großteil betroffenen von Rassismus. Die Beratungsnehmenden waren zu 61% männlich und zu 66% zwischen 18 und 40 Jahren alt. Auch Kinder und Jugendliche wurden beraten. 69% der Beratungsnehmenden waren von Rassismus betroffen.

Zu den Beratungstätigkeiten der Opferberatungsstellen gehören vor allem Beratungsgespräche, Unterstützung bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, die direkte Begleitung zur Polizei oder zu Gerichtsverfahren. Außerdem vermitteln und begleiten die Berater*innen zu Rechtsanwält*innen oder auch Ärzt*innen und Psycholog*innen. Auch die Vermittlung zu weiteren passenden Angeboten gehört dazu. In vielen Fällen ist die Organisation von Dolmetschern notwendig.

Die Statistik ist in Kooperation mit der Opferberatung der RAA Leipzig e.V. entstanden.

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