Statistik 28. April 2017

Jahresstatistik Verband der Beratungsstellen 2016

Die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt dokumentieren für das Jahr 2016 einen erneuten Anstieg der Gewalt. In den ostdeutschen Bundesländern, Berlin und NRW haben sich die Angriffe von 1747 im Jahr 2015 auf auf 1948 im Jahr 2016 erhöht. Mindestens 3050 Personen (2015: 2237) wurden 2016 in den sieben Bundesländern verletzt und massiv bedroht.

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  • 1948 (1747 im Vorjahr) Fälle rechts motivierter Gewalt in Ostdeutschland, Berlin und NRW

  • Weiterer Anstieg auf hohem Niveau

  • Mindestens 5 Angriff pro Tag

  • 2015 hatten sich die rechts motivierten Angriffe im Vergleich zu 2014 nahezu verdoppelt. 2016 ist ein erneuter Anstieg um 11 Prozent zu verzeichnen.

  • Deutliche Zunahme rassistischer Gewalt von 1056 im Jahr 2015 auf 1306 Angriffe im Jahr 2016. Der Anteil rassistischer Gewalt am Gesamtaufkommen 2016 stieg damit erneut von 60 auf 68 Prozent.

  • Ein Anstieg rassistischer Gewalttaten war in allen Bundesländern gleichermaßen zu verzeichnen, insbesondere in Thüringen, wo rassistische Gewalttaten um knapp 90 Prozent anstiegen. Die Anzahl der Angriffe auf Menschen, die von den Täter_innen als politische Gegner_innen angesehen werden, darunter auch auf Journalist_innen und politische Verantwortungsträger_innen, sank hingegen von 465 auf 363 und damit von 26 auf knapp 19 Prozent aller Vorfälle.

Dazu Andrea Hübler für den Verband der Beratungsstellen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG): „Rassistische Gewalt nimmt weiter zu, die Hemmschwelle sinkt. Das zeigt sich an der zunehmenden Brutalität und daran, dass auch vor Angriffen auf Kinder kein Halt gemacht wird. Deshalb bleiben unsere zentralen Forderungen:

  • Schnelles und konsequentes Vorgehen der Ermittlungsbehörden

  • Bleiberecht für Menschen ohne sicheren Aufenthaltstitel, die Opfer einer rechts motivierten Gewalttat wurden

  • verbesserter Schutz für von rechts motivierter Diskriminierung und Gewalt Betroffene“

Das Gewaltpotential ist weiter angestiegen. Das zeigt sich insbesondere am Anstieg der gefährlichen Körperverletzungen um 28 Prozent. Schwere Körperverletzungen bzw. versuchte Tötungen haben sich von 10 auf 20 Fälle verdoppelt. Allein in Thüringen und Sachsen wurden 4 solcher Fälle registriert, in Sachsen-Anhalt sogar 6.

In Zerbst (Sachsen-Anhalt) wurde am 30. Juni 2016 ein 34-jähriger Pakistani von zwei Unbekannten Männern angegriffen. Sie schlugen und traten auf den Mann ein und ließen ihn dann verletzt auf den Bahngleisen zurück. Der schwer verletzte Betroffene konnte sich mit Glück noch so aufrichten, dass ihn ein herannahender Zug lediglich an der Schulter streifte.

2016 ist erneut ein Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen.

Am 17. September wurden in Berlin-Lichtenberg ein 34-jähriger Mann in einem Supermarkt vom Filialleiter aus rassistischer und sozialdarwinistischer Motivation geschlagen. Der 34-Jährige verstarb drei Tage später an den Folgen des Angriffs.

Von den 1948 Angriffen waren mindestens 3051 Menschen in sieben Bundesländern betroffen. Das sind über 800 Menschen mehr als im Jahr zuvor (2237). Im Jahr 2016 waren 272 Kinder von rechter und rassistischer Gewalt betroffen. Damit waren fast 9 Prozent aller Betroffenen unter 14 Jahre alt. „Dieser dramatische Anstieg von Gewalt gegen Kinder ist besonders alarmierend und verdeutlicht, dass die letzten Hemmungen bei den Tätern nach und nach fallen.“, so Andrea Hübler (VBRG).

Unserer Statistik nach waren Kinder am häufigsten in Berlin, Sachsen-Anhalt (jeweils 45), in Thüringen (48) und in Sachsen (73) betroffen.

So wurde am 6. Oktober 2016 wurden in Sebnitz (Sachsen) drei Kinder aus Syrien im Alter zwischen fünf und elf Jahren von mehreren Jugendlichen geschlagen und mit einem Messer bedroht.

Auch Angriffe auf oder im Umfeld von Geflüchtetenunterkünften (bewohnte und unbewohnte; zentrale und dezentrale) haben in den ostdeutschen Bundesländern, Berlin und NRW noch einmal deutlich zugenommen. Zählten die Beratungsstellen 2015 noch 146 Angriffe, waren es 2016 bereits 252 (+72 Prozent). Wie schon im Jahr zuvor fanden die meisten dieser Angriffe in NRW (98) und Sachsen (53) statt, gefolgt von Berlin (41). Dabei handelte es sich vor allem um gefährliche Körperverletzungen (88) und Brandstiftungen (62). In 5 Fällen handelte es sich um versuchte Tötungen.

In Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) wurde am 26. Februar und in Niesky (Sachsen) am 23. Juli auf eine Geflüchtetenunterkunft geschossen. Brandanschläge, die als versuchte Tötungen gewertet wurden, wurden am 22. Mai in Zwickau (Sachsen), am 8. September in Wilnsdorf (NRW) und am 1. Oktober in Jüterbog (Brandenburg) verübt.

Dimension rechter Gewalt in den Bundesländern

Für das Jahr 2016 verzeichneten die unabhängigen Beratungsstellen in Ostdeutschland, Berlin und NRW 1948 Fälle rechts motivierter und rassistischer Gewalt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein erneuter Anstieg um 11 Prozent.

  • In Sachsen wurden mit 437 Fällen die meisten Angriffe gezählt (2015: 477, -4 %).

  • In Berlin wurden 381 Angriffe registriert (2015: 320, +19 %)

  • In NRW 335 (279, +20 %)

  • In Sachsen-Anhalt 265 Angriffe (2015: 217, + 22 %)

  • In Brandenburg 221 (2015: 203, +9 %)

  • In Thüringen 160 Angriffe (2015: 121, +32 %)

  • In Mecklenburg-Vorpommern 149 Angriffe (2015: 130, +15 %).

Damit fanden im letzten Jahr in Ostdeutschland, Berlin und NRW pro Tag im Durchschnitt 5,3 rechtsmotivierte Gewalttaten statt.

Zum überwiegenden Teil handelte es sich dabei um (versuchte) Körperverletzungsdelikte: 778 gefährliche und 692 einfache Körperverletzungen, außerdem 20 schwere Körperverletzungen bzw. versuchte Tötungen. In 274 Fällen handelte es sich um Nötigungen oder Bedrohungen, in 95 Fällen um Brandstiftungen, in 59 Fällen um massive Sachbeschädigungen und in 29 Fällen um sonstige Gewalttaten wie Raub oder Landfriedensbruch.

Rassismus ist weiterhin das häufigste Tatmotiv

Die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten stieg im Vergleich zu 2015 um weitere 24 Prozent an, nachdem bereits 2015 eine massive Zunahme rassistischer Angriffe verzeichnet wurde.

„In Deutschland bestehen für POCs, Schwarze Menschen und Geflüchtete Angsträume. Wir erheben lediglich die Gewalttaten, keine Beleidigungen oder Diskriminierungen, doch auch verbale Attacken sind für Betroffene an der Tagesordnung. Deshalb bedarf es neben Opferberatungsstellen wie uns, zusätzlich unabhängiger Antidiskriminierungsstellen.“ erläutert Hübler.

In den ostdeutschen Bundesländern, Berlin und NRW waren 1306 der Angriffe rassistisch motiviert, 363 Angriffe richteten sich gegen Menschen, die von den Täter_innen als politische Gegner_innen angesehen wurden, darunter 27 gegen Journalist_innen. 98 Angriffe richteten sich gegen nicht-rechte und alternative Personen, 80 Angriffe gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität. 37 Angriffe waren antisemitisch motiviert. Zudem registrierten die Beratungsstellen 8 rechts motivierte Angriffe gegen Menschen mit einer Behinderung und 5 gegen wohnungslose Menschen.

Nicht alle Beratungsprojekte haben die Ressourcen für ein unabhängiges Monitoring. Aus den Bundesländern Bayern, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein gibt es deshalb kurze Hintergrundberichte, die sie im Anhang finden. Die durch die neu entstandenen Beratungsstellen registrierten Fälle rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt in NRW zeigen jedoch deutlich, dass ein fundiertes Monitoring in allen Bundesländern unabdingbar ist um das Ausmaß rechts motivierter ein Stück weit sichtbar machen zu können.

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Das grafische Factsheet kann hier heruntergeladen werden:

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