Prozesstag 7 bis 9: Aufarbeitung der rassistischen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz
Der siebte Prozesstag am 17.06.2025 begann verspätet aufgrund von Verzögerungen bei der Anreise mehrerer Beteiligter erst um 11:00 Uhr anstatt wie geplant um 09:00 Uhr.

Im Verlauf wurden drei zum vierten Tatort aussagende Geschädigtenzeug*innen gehört. Alle waren Teil einer Anreise aus Marburg zur Demonstration Herz statt Hetze am 01.09.2018 und am Abend auf dem Weg aus der Innenstadt zurück zu einem Reisebus, als sie an der Zschopauer Straße kurz vor Erreichen der Annenstraße angegriffen wurden. Die Zeug*innen schilderten größtenteils übereinstimmend wie eine Gruppe von 10-15 Männern unvermittelt zwischen parkenden Autos hervortraten und auf die Abreisenden zurannte. Mindestens einer der Angreifer trug dabei nach übereinstimmender Aussage der Zeug*innen einen hölzernen Schlaggegenstand, zwei Zeug*innen beschrieben diesen als mindestens ähnlich zu einem Baseballschläger. Unterschiede in Zeug*innenaussagen gab es vor allem hinsichtlich der Größe der angreifenden Gruppe und des Anteils der Bewaffneten in dieser.
Als die Angreifer auf die Gruppe der Betroffenen stießen begannen sie diese als Volksverräter zu beleidigen und zu bedrohen. Einer der Neonazis entriss einer Person die von ihr gehaltene Fahne der SPD, zerbrach den Stab an dem diese angebracht war über seinem Bein und warf Stab und Fahne zu Boden. Ein Zeuge schilderte, wie vor ihm stehende Angehörige seiner Gruppe durch Neonazis geschlagen und getreten wurden. Im Anschluss verfolgten die Angreifer weitere Mitglieder der Abreise, die sich in den Park zurückgezogen hatten, einer der Männer rief dabei in Richtung dieser laut einer Zeugin "dich kriegen wir du Zecke".
Die drei Zeug*innen beschrieben eindrücklich das Bedrohungsgefühl, dass sie aufgrund des Angriffs erfuhren. Einer der Zeugen beschrieb, dass er in der Zeit nach der Tat bei Veranstaltungen große Angst hatte und bis heute ein Gefühl der Verunsicherung beim Besuch politischer Veranstaltungen verspürt. Eine Zeugin beschrieb, wie sie Todesangst verspürte, als sie von einem der bewaffneten Angreifer bedroht wurde und er sie sinngemäß fragte, ob sie auch Prügel beziehen wollte.
Im Anschluss an die Zeug*innenvernehmungen wurde ein durch RA Schönfelder angeregtes Erörterungsgespräch bzgl. der durch die Staatsanwaltschaft für seinen Mandanten Lasse Richei angedachten Rechtsfolge öffentlich innerhalb der Hauptverhandlung geführt. Zu Beginn stellte Staatsanwalt Fischer für die Generalstaatsanwaltschaft Dresden klar, dass die Anklage angesichts der Beweislage eine Verurteilung in den angeklagten Individualdelikten wie gefährlicher Körperverletzung für keinen der vier Neonazis als realistisch erachtet, da eine Zuordnung zu diesen Taten bisher nicht möglich war. Die Verteidiger*innen aller vier Mandanten drängten auf eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflage und führten die angebliche positive Entwicklung ihrer jeweiligen Mandanten sowie die lange Verfahrensdauer und hohen möglichen Kosten im Fall einer Verurteilung an. Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin Lang stellte für die Nebenklage klar, dass die lange Verfahrensdauer auch für die Geschädigten eine große Belastung darstellt und dass die bisherigen Schilderungen weder eine tatsächlich stattgefundene positive Entwicklung bei den Angeklagten belegen würden, noch diese sich in irgendeiner Form zum Tatvorwurf eingelassen hatten, geschweige denn Reue bekundet oder sich entschuldigt hatten. Auch Staatsanwalt Fischer betonte, dass bisher für die Staatsanwaltschaft die Sache noch nicht aufgeklärt sei, was für ihn jedoch Grundlage für eine mögliche Einstellung wäre.
Rechtsanwalt Schönfelder bat daraufhin um eine vorläufige Stellungnahme der Kammer zum Stand des Verfahrens. Nach einer Unterbrechung für eine entsprechende Beratung betonte die vorsitzende Richterin, dass die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen sei und dementsprechend auch der Beleg für die Beteiligung der Angeklagten an einem Landfriedensbruch noch möglich sei. Gleichzeitig verwies sie auf Zweifel seitens der Kammer, ob die Grundlage für denselben gegeben sei, da die durch Zeug*innen für die vier Tatorte geschilderte Zahl der Angreifer teilweise stark schwankte und die niedrigsten genannten Schätzungen unterhalb der Schwelle für eine gemeinsam agierende Menschenmenge im Sinne des Straftatbestands lägen. Mit diesem Zwischenfazit und einer erneuten Betonung durch Staatsanwalt Fischer, dass die Möglichkeit für Einstellungsangebote nur nach ausführlichen Einlassungen der Angeklagten zur Sache vorstellbar wären, endete der siebte Prozesstag um 14:00 Uhr.
Im Verlauf des pünktlich um 09:00 am 18.06.2025 beginnenden achte Prozesstag wurden vier weitere Zeug*innen zu den Geschehnissen am vierten Tatort gehört sowie ein aufgrund von Problemen bei der Anreise zur ursprünglichen Ladung diesen Tag umgeladener Zeuge zum ersten Tatort befragt.
Zum vierten Tatort am Park der Opfer des Faschismus schilderten auch diese Zeug*innen ähnliches zum Angriff durch die Gruppe Neonazis, der die Angeklagten zugerechnet werden. Auch in dieser Vernehmung wurden erneut eine teilweise Bewaffnung und die oben genannten Angriffe geschildert.
Eine Zeugin schilderte, wie sie im Rahmen der polizeilichen Vernehmung und dort vorgelegter Bilder sowohl Lasse Richei als auch den im ersten Prozessblock angeklagten, jedoch zwischenzeitlich untergetauchten Grigor K. als Angreifer am 01.09.2018 erkannte. Sie schilderte weiterhin, dass ihr beim Sichten von in Medienberichten über das Geschehen enthaltenen Bildern auffiel, dass von ihr den Angreifern zuordenbare Neonazis offenbar im Verlauf des Tages gezielt Kleidungsstücke untereinander getauscht hatten.
Zwei der Zeugen konnten den Beginn des Angriffs vom hinteren Ende ihrer Abreisegruppe gut überblicken, bis einer der Neonazis auf einen der beiden Männer zeigte und sich daraufhin mehrere Männer aus der Hauptgruppe der Angreifer lösten und die Zeugen in den Park hinein verfolgten. Einer der beiden Zeugen schilderte, dass für ihn bereits in diesem Moment die auf ihn bezogene rassistische Motivation der Angreifer deutlich war, die ihn innerhalb der größeren Gruppe der Abreisenden klar als Ziel ausmachten und verfolgten. Er beschrieb, dass er in diesem Moment Todesangst hatte und dass das erlebte bleibende Spuren hinterließ: "das ist eine Art Trauma, es gibt immer wieder kleinere Situationen, in denen man damit konfrontiert wird, das einen einholt - man fühlt sich ohnmächtig, dieselben Emotionen kommen wieder hoch". Auch kritisierte er die lange Verfahrensdauer und die bisher ausgebliebenen Konsequenzen für die Täter: "es schmerzt auch zu sehen, dass es auf rechtlicher Ebene keine wirklichen Konsequenzen gibt".
Ein weiterer Zeuge, der sich weiter vorne innerhalb der Gruppe befand beschrieb ebenfalls das durch ihn die durch ihn gefühlte Angst und Ohnmacht während des Angriffs und ein auch noch über die Situation hinaus anhaltendes Gefühl der Bedrohung und eine langfristige emotionale Belastung durch den Vorfall. Der mittlerweile 73-jährige Mann bezeichnete den Angriff als "eines der schlimmsten Ereignisse meines Lebens".
Der zum ersten Tatort befragte fünfte an diesem Verhandlungstag aussagende Zeuge beschrieb auch für diesen Teil des Tatkomplexes die enorme von der Angreifergruppe ausgehende Bedrohung, er rechnete nach eigener Aussage in diesem Moment damit erst wieder in einem Krankenhaus aufzuwachen. Ähnlich zu Schilderungen an vorherigen Prozesstagen beschrieb er auch Angriffe, das Rufen neonazistischer Parolen und Beschimpfungen sowie, dass die Täter die Angegriffenen bespuckt und mit von der Straße aufgelesenem Müll sowie Teilen einer zerbrochenen Fahnenstange beworfen hatten. Ähnlich wie bereits große Teile der Zeug*innen an verschiedenen Tatorten konnte er wiederum den Angeklagten Lasse Richei deutlich als unter den Angreifern zuordnen. Mit der Aussage dieses Zeugen endete der sechste Verhandlungstag um 13:35 Uhr.
CONTENT NOTE: sexistische und ableistische Bedrohung
Zum neunte Verhandlungstag am 19.06.2025 waren beginnend um 09:00 Uhr vier wiederum zum vierten Tatort aussagende Geschädigte aus der sich damals auf dem Rückweg zu ihrem Bus befindlichen Gruppe geladen. Die Verhandlung wurde durch das wiederholt verspätete Erscheinen Lasse Richeis mit circa 30 Minuten Verspätung wieder aufgenommen.
Die erste Zeugin schilderte, wie ihr durch einen der Neonazis eine Fahne der SPD entrissen wurde, deren Fahnenstab der Angreifer über seinem Bein zerbrach. Alle vier Zeug*innen erinnerten sich deutlich daran, dass eine Person, die drei der vier Zeug*innen im Nachgang auf Bildern als Lasse Richei erkannten, sie bedrohte und ihnen dabei zurief "ihr könnt froh sein, dass ihr alle Fotzen seid, sonst würden wir euch behindert schlagen". Eine Zeugin schilderte detailliert wie sich Richei in dieser Situation vor ihr aufbaute und wiederholt drohend mit einem Schlagwerkzeug ausholte.
Nach der Befragung der vierten Zeugin endete der neunte Verhandlungstag um 11:20 Uhr mit der Ankündigung, dass zwei für den kommenden Prozesstag geladene Geschädigtenzeug*innen auf eigenen Wunsch abgeladen werden und zum 01.07.2025 dementsprechend lediglich zwei Zeug*innen die als Polizeibeamt*innen mit dem Tatgeschehen befasst waren geladen sind.