Prozesstag 5 und 6: Aufarbeitung der rassistischen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz
Im Verlauf der letzten beiden Verhandlungstage am 27. und 28. Mai 2025 sagten insgesamt zwölf Zeug*innen zum Tatgeschehen an drei Tatorten aus, die Gegenstand des Verfahrens sind. Alle waren am 1. September auf dem Heimweg nach der „Herz statt Hetze“-Demonstration, als sie von Neonazis angegriffen wurden.

Der fünfte Prozesstag begann um 09:09 Uhr. Die Beweisaufnahme wird fortgesetzt und der erste Geschädigtenzeuge des Tages vernommen. Er wurde wie die zwei folgenden Zeug*innen an der Kreuzung Moritzstraße und Annaberger Straße angegriffen. Die drei berichteten davon aus der Moritzstraße gekommen zu sein und eine Auseinandersetzung an deren Ende gesehen zu haben. Der Zeuge berichtete, dass sie hofften, wie andere vor ihnen, passieren zu können, aber wurden als Teilnehmende der „Herz statt Hetze“-Demonstration ausgemacht und angegriffen. Ein Betroffener berichtete davon, dass ihm ein Schild, welches er aufgrund der Demonstration bei sich trug, entwendet und ihm mehrere Male gegen den Kopf geschlagen wurde. Auch ein weiterer Zeuge gab an geschlagen worden zu sein, außerdem berichtete er von Tritten. Wie schon andere vorher geladene Zeug*innen erzählten sie davon die Parole „Adolf Hitler Hooligans“ vernommen zu haben.
Einer Zeugin wurde durch die Angreifer mitgeteilt, sie seien schuld, dass Deutsche abgestochen würden, zudem wurde ihr Gewalt angedroht. Sie beschrieb Sexualisierung und misogyne Beleidigungen gegen sie. So berichtete sie davon, dass ein Angreifer ihr erst Gewalt androhte und dann fragte, ob er sie küssen könne, bevor er lachend abzog. Diese Situation konnte sie dem Angeklagten Lasse Richei zuordnen.
Anschließend wurde nach einer Mittagspause eine Gruppe angehört, welche zu dritt an der Ecke Reitbahnstraße und Annenstraße angegriffen wurde. Ein Zeuge berichtete davon, dass auf sie gezeigt und ‚Zecken‘ gerufen wurde. Er führte weiter aus, dass ihm mit der Frage: „Du willst wohl Schläge von einem Nazi?“ Gewalt angedroht und ihm anschließend in sein Gesicht geschlagen wurde. Alle gaben an, dass die Situation sehr bedrohlich für sie war. Um 14:10 Uhr endete der fünfte Prozesstag nach der Aussage des sechsten Zeugen.
Am sechsten Prozesstag wurden, beginnend um 09:17 Uhr, die ersten Zeug*innen des vierten Tatortes geladen.
Die Zeug*innen erzählten mit einem von der Marburger SPD organisiertem Bus nach Chemnitz gekommen zu sein und sich nach der Demonstration auf dem Weg zu diesem entlang der Zschopauer Straße befunden zu haben, als sie auf Höhe der Annestraße auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine sich schnell nähernde und aggressiv wirkende Gruppe entdeckten. Es wird davon berichtet, dass sie umzingelt und „Deutschlandverräter“ genannt wurden. Sie erzählten von Panik und das sich ihre Gruppe verstreute, viele wegrannten. Einzelne Zeug*innen beschrieben in der Situation geschlagen oder getreten worden zu sein und auch teilweise Schlagwerkzeuge gesehen zu haben. Einer Zeugin wurde eine SPD-Fahne entwendet. Es wurde davon berichtet, dass auf eine migrantisch gelesene Person gezeigt und diese beginnend mit dem Ausspruch „Den schnappen wir uns!“ gejagt wurde.
Die Zeug*innen beschrieben die Gruppe durchgehend als sich gemeinsam bewegend und bedrohlich wirkend. Alle hatten Schwierigkeiten sich aufgrund der langen zeitlichen Distanz zu erinnern, was durch sie auch kritisch angemerkt wurde. Ein Zeuge benannte zudem einen Vertrauensverlust in die Justiz durch das Geschehene.
Die lange Dauer zwischen Ereignissen und Verhandlungen, sowie die Unübersichtlich- und Bedrohlichkeit der Situationen dürften auch Ursache für auseinander gehende Wahrnehmungen etwa bei der Personenzahl der angreifenden Gruppe sein.
Mit der letzten Zeugenvernehmung endete die Verhandlung am sechsten Prozesstag um 14:40 Uhr. Die Hauptverhandlung wird am 17. Juni 2025 um 09:00 Uhr mit der Vernehmung von Zeug*innen zum Geschehen des vierten Tatorts am 1. September 2018 fortgesetzt. Für den kommenden siebten Prozesstag wurde auf Bitte von Lasse Richeis Verteidiger weiterhin ein Erörterungsgespräch zu einer Verständigung über eine mögliche Einlassung seines Mandanten zur Sache anberaumt.
Die kontinuierliche Begleitung und Aufarbeitung des Verfahrens wird durch eine Förderung von Polylux ermöglicht.