Prozessdoku 10. Juli 2025

Prozesstag 10 bis 12: Aufarbeitung der rassistischen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz

Vom 01. bis zum 03. Juli sagten zwei Polizist*innen und zehn frühere Mitbeschuldigte aus. Ursprünglich waren 19 frühere Mitbeschuldigte geladen, allerdings erschienen neun nicht oder sagten ab.

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Der 10. Prozesstag am 01.07.2025 begann mit leichter Verzögerung um 9:10 Uhr. Die Beweisaufnahme wurde mit der Aussage einer Kriminalhauptkommissarin fortgesetzt. Sie schilderte zu Beginn der Ablauf, wie er sich aus ihren Ermittlungen rekonstruieren ließ.

Sie berichtete davon, dass sich nach der vorzeitigen Beendigung der Demonstration am 01.09.2018 Versammlungsteilnehmer zusammenschlossen und von Marcel W., da dieser ortskundig gewesen sei, durch die Stadt geführt wurden. Dabei kam es an vier Tatorten zu Angriffen, wobei Lasse R. immer wieder erkannt wurde, bis am Bernsbachplatz 14 Personen festgestellt und bei den Angeschuldigten Kampfspuren und Vermummungsgegenstände dokumentiert und sichergestellt wurden. 

Nach Einschätzung der Polizistin setzte sich dieser Zusammenschluss aus kleineren Teilgruppen zusammen. Sie kamen aus Sachsen, dabei der Großteil aus Dresden, aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, sowie Einzelne aus Thüringen und Bayern. Sie kannten sich untereinander nicht unbedingt, sondern hätten sich im Versammlungsgeschehen zusammengefunden.

Die Verfahren seien zunächst getrennt geführt worden – die Ermittlerin war zuerst nur für die Tat in der Annaberger-/Moritzstraße zuständig. Nachdem sich eine gemeinsame Tätergruppe herauskristallisierte, wurden die Akten zusammengeführt und weitere Vernehmungen veranlasst. Die Ermittlungen zogen sich über längere Zeit, u. a. weil Material aus öffentlichen Quellen, Fotografien und Polizeivideos ausgewertet werden musste. Personen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen fielen dabei besonders auf. 

Weiter berichtete sie von einer in Freital geführten Vernehmung mit Robby S., welcher in diesem Verfahren angeklagt ist. Dieser habe umfangreich ausgesagt und konnte sich an alle drei Tatorte erinnern. Zum Tatort Annaberger Straße, Ecke Bahnhofsstraße konnte Robby S. sich in der Vernehmung an den tätlichen Angriff auf einen dort Geschädigten erinnern. Dieser wurde augenscheinlich Opfer einer Verwechslung und gehörte ursprünglich selbst zur angreifenden Gruppe. Zwar hatte er den Täter nicht erkannt, konnte ihn und seine Kleidung jedoch beschreiben. Er soll ein dunkles Oberteil mit einer schwarz-weiß-roten Fahne darauf getragen haben. Ein solchen Oberteil trug Marvin C. - ebenfalls in diesem Verfahren angeklagt - an diesem Tag. Auf einem Video das der Polizei vorlag, sah man zudem auch, dass C. sich noch eine Zeit lang mit dem Geschädigten unterhielt, berichtete die Ermittlerin.

Robby S. beschrieb in seiner polizeilichen Vernehmung die Personen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen als die, von denen der Großteil der Aggression ausging. Er und Sandro W., der ihn an diesem Tag begleitete, hätten die Angriffe nicht gut gehießen. Den Angriff auf die Abreise zu einem Bus der Marburger SPD benannte er bei der Vernehmung als „feige“.

Die Polizistin beschrieb auch, dass sie die Ermittlungen die meiste Zeit alleine, mit nur punktueller Unterstützung durch Kolleg*innen führte. Durch sie gestellte Ersuchen um weitere Unterstützung seien abgelehnt worden.

Nach einer Pause wurde ein zweiter Zeuge, ebenfalls Polizist, welcher am 01.09.2018 Zugführer bei der USK Nürnberg war, vernommen. Polizeikräfte, welche er koordinierte, hatten sowohl die Geschädigten aus Marburg, als auch die Tätergruppe später am Bernsbachplatz, welche aufgrund der Fluchtrichtung und Nähe zum Tatort ausfindig gemacht wurde, kontrolliert. Für ihn auffällig war, dass den Angreifern zuzuordnende Personen sehr geschwitzt hatten.

Die Gruppe wurde einer Identitätsfeststellung unterzogen, es wurden Lichtbildaufnahmen angefertigt, auch vermeintliche Blutspuren wurden fotografiert und Vermummungsgegenstände sichergestellt. Der Beamte berichtete davon, dass sowohl im Park, als auch neben der Haltestelle Bernsbachplatz, an dem die Gruppe festgestellt wurde, Fahnen gefunden wurden, die zuvor wahrscheinlich den Betroffenen entwendet wurden. Des Weiteren wurden Alkoholtests durchgeführt und anschließend die Gruppe zum Bahnhof gebracht.

Im Anschluss an die Polizist*innen wurde ein ehemaliger Mitbeschuldigter als Zeuge vernommen.

Gegen Daniel K. wurde das Verfahren bereits eingestellt. Er erinnert sich daran mit Marvin C. vom Karl-Marx-Monument aus mit einer Demonstration losgelaufen zu sein. Er wäre dabei am hinteren Ende einer Gruppe von 10-15 Mann gelaufen. Vor ihnen seien - so seine Erzählungen - circa 100 Menschen Teil dieser von ihm als Demonstration beschriebenen Ansammlung gewesen. Seine Gruppe soll anschließend in einer Kontrolle gelandet sein, welche 4 bis 5 Stunden dauerte. Während dieser wurden bei ihm Quarzsandhandschuhe, sowie ein Schlauchschal und eine Sturmmaske, gefunden. Der Staatsanwalt versuchte zu erfragen wofür sie demonstrierten, worauf K. erwiderte, ob er die politische Meinung wissen wolle. Auf die Frage, warum er Quarzsandhandschuhe und Vermummungsgegenstände mit sich führte, antwortete er, diese habe er zum "Eigenschutz" mitgeführt. Auf eine weitere Nachfrage, ob er häufiger auf Demonstrationen oder in Maßnahmen sei, weshalb er die Situation verwechseln könnte, antwortete er verneinend. Mit der Vernehmung dieses Zeugen, dessen Aussagen sich nicht mit denen vorheriger Zeug*innen decken, endete der 10. Verhandlungstag.

Am 11. Verhandlungstag wurde die Beweisaufnahme mit der Vernehmung von ehemaligen  Mitbeschuldigten als Zeugen fortgesetzt. Deren Aussagen waren immer wieder vage und von Erinnerungslücken geprägt.

Der erste vernommene Zeuge Timo B. war ursprünglich ebenfalls Mitbeschuldigter im übergeordneten Verfahren. Dieses wurde gegen ihn jedoch bereits nach §153a StPO gegen die Zahlung einer Geldauflauge von 1000€ an eine Organisation in der Region Chemnitz  während des Prozesses im vergangenen Jahr am Landgericht Chemnitz eingestellt.

B.s Zeugenbeistand versuchte ohne Erfolg ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht durchzusetzen. Im Verlauf der Vernehmung verwies Timo B. größtenteils darauf, dass er sich nicht mehr an die Geschehnisse des 01.09.2018 erinnern könne. Auf Nachfrage erinnerte er sich Lediglich an die Einlassung im Verfahren gegen ihn und weitere Angeklagte. Dort gab er an, dass er in der Gruppe mitgelaufen sei und er wusste, dass seine Gruppe bedrohlich wirken konnte, es zu verbalen und physischen Angriffen kam und er sich dennoch nicht entfernt hatte.

Der zweite Zeuge Marcel W. war ebenfalls bis zu einer Einstellung nach §153a StPO im Rahmen desselben Prozesses Mitbeschuldigter. Er gab an etwa 12 bis 14 Personen durch die Stadt geführt zu haben, da er ortskundig war. Er und seine Gruppe seien ziellos gelaufen, auf der Suche nach „Antifa Leuten“. Dazu beschrieb er die Route, die er gegangen war, konnte sich jedoch nicht erinnern, warum er diese Leute suchte und weiter wollte er dazu keine Aussage machen. Die Stimmung in der Gruppe war nach seiner Aussage aufgeregt und aggressiv. Weiter gab er an, weder Auseinandersetzungen beobachtet, noch an diesen teilgenommen zu haben.

Gegen den dritten Zeugen des Tages Thomas H. wurde das Verfahren bereits vor einer Verhandlung nach §153a StPO eingestellt. H. erzählte davon, dass er sich erinnert sich einer Gruppe angeschlossen zu haben, und mit dieser gerannt zu sein. Die Mitglieder dieser Gruppe habe er nicht gekannt und auch nicht gewusst, was diese im weiteren Verlauf vorhabe. Nach seiner Aussage hätte er sich mit diesem Wissen nicht auf die Situation eingelassen und wäre der Gruppe fern geblieben. Er gab an, am Tatort Annaberger Straße, Ecke Moritzstraße den unmittelbaren Nachgang des weiter oben beschriebenen tätlichen Angriffs beobachtet zu haben. Im Folgenden wurde ihm seine im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachte Einlassung vorgehalten, bei welcher er den Täter identifizieren konnte. Auf Vorlage eines Lichtbilds von Marvin C. bestätigte er, dass es sich um die bei der polizeilichen Vernehmung durch ihn bennante Person handelt.

Das Verfahren gegen den vierten Zeugen des Tages André P. wurde nach §154 StPO als Teileinstellung bei mehreren Taten im Rahmen einer rechtskräftigen Verurteilung 2020 eingestellt. P. berichtete davon am Tattag alleine auf der rechten Demonstration gewesen zu sein, sich dann mit etwa 10 weiteren Personen von der Demonstration gelöst zu haben ohne zu wissen, wo die anderen hinwollten, oder was sie vorhatten. Er habe Pöbeleien welche aus seiner Gruppe ausgingen mitbekommen, habe sich aber selbst nicht beteiligt. Er gab an sich wegen seines damaligen Alkohol- und Drogenkonsums nicht mehr an weitere Geschehnisse erinnern zu können. Mit der Befragung dieses Zeugen endete der 11. Prozesstag.

Der 12. Prozesstag begann wieder mit über eine Viertelstunde Verspätung, da RA Schönfelder und sein Mandant Lasse Richei nach eigenen Angaben erneut im Stau standen. Mit der Vernehmung von Erik H. als erstem Zeugen des Tages wurde die Beweisaufnahme fortgesetzt. Das Verfahren gegen H. wurde ebenfalls nach §153a StPO eingestellt. Der Zeuge gab an, sich zu erinnern, dass es in Chemnitz zu Ausschreitungen kam, jedoch nicht mehr daran, was er selbst zu diesem Zeitpunkt in Chemnitz tat. Weiterhin gab er an sich nicht zu erinnern, wie er damals nach Chemnitz kam oder wie lange er sich dort aufhielt.

Gegen die weiteren geladenen Zeugen Jim K., Dennis B., Patrick N. und Andre Jean M. wurde das Verfahren nicht eröffnet. Dies wurde jeweils durch das Oberlandesgericht Dresden bestätigt.

Jim K.s Zeugenbeistand setzte ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht durch. K. berichtete dennoch, dass er im Rahmen einer Demonstration in Chemnitz gewesen war und anschließend wieder nach Hause gefahren sei. An Ausschreitungen oder daran, wie er anreiste, erinnerte er sich nach eigener Angabe nicht.

Der dritte Zeuge des Tages Dennis B. berichtete, dass er zur Zeit der Tat jedes Wochenende ein bis zwei Demonstrationen besucht habe und am 01.09.2018 ebenfalls in Chemnitz gewesen sei. Er gab an, dass er mit einem durch die Partei "die Rechte" organisierten Bus aus Dortmund angereist war und es innerhalb der gemeinsamen Anreise Absprachen zum weiteren Tagesverlauf gab, etwa das sie zusammen blieben und sich in Chemnitz "benommen" werde. Gefragt, ob es für ihn normal sei, wenn es Auseinandersetzungen auf Demos gab, antwortete er, dass es schon mal zu etwas Gerangel, Geschrei oder Übergriffen kommen könne, oder wenn man auf dem Weg zum Bahnhof durch politische Gegner angegriffen werde, auch mehr passieren könne. An mehr Details zum 01.09.2018 konnte er sich nach eigener Aussage nicht erinnern.

Der vierte Zeuge Patrick N. gab lediglich an, damals mit dem Auto aus Dortmund angereist zu sein und dass er sich an "keine Exzesse" im Verlauf des Tages erinnern könne. Hinsichtlich weitere Details zum Tattag machte er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gebrauch.

Der fünfte an diesem Tag geladene Zeuge André Jean M. berichtete, am Tag der Tat mit Freunden aus Dortmund nach Chemnitz gefahren zu sein und dass die Stadt bei ihrer Abreise sehr voll gewesen sei, an weiteres erinnere er sich jedoch nicht.

Mit der Aussage dieses Zeugen endetete der 12. Prozesstag. Am 28. Juli soll die Beweisaufnahme mit der Vernehmung von zwei Zeugen fortgesetzt werden und über eventuell eingehende Beweisanträge entschieden werden.

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