Pressemeldung 5. August 2022

Gerichtsverhandlung über vier Jahre nach schwerem Angriff in Wurzen: Verfahren eingestellt

Am 14. Juli 2022 wurde am Amtsgericht Grimma gegen drei Angeklagte verhandelt. Vorgeworfen wurde ihnen ein  Angriff auf ein vor allem von geflüchteten Menschen bewohntes Haus in Wurzen. Die Angreifer gingen bewaffnet auf die Bewohner*innen los, mehrere Personen wurden verletzt. Die polizeilichen Ermittlungen lassen auf ein geplantes und rassistisch motiviertes Vorgehen schließen. Nun wurde das Verfahren gegen alle Beschuldigten mit der Auflage einer Geldzahlung eingestellt.

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Am 14. Juli 2022 wurde am Amtsgericht Grimma unter Leitung der vorsitzenden Richterin Kippenberger und zweier Schöff*innen gegen drei Angeklagte verhandelt. Vorgeworfen wurde ihnen ein  Angriff auf ein vor allem von geflüchteten Menschen bewohntes Haus in Wurzen in der Nacht zum 12. Januar 2018. Die Angreifer gingen mit Elektroschockern und Baseballschlägern bewaffnet auf die Bewohner*innen los, mehrere Personen wurden verletzt. Zudem kam es zu Sachbeschädigungen im und am Haus. Die polizeilichen Ermittlungen und die Auswertung von Chat-Nachrichten der Angeklagten lassen auf ein geplantes und rassistisch motiviertes Vorgehen schließen. Über viereinhalb Jahre nach der Tat wurde das Verfahren gegen alle Beschuldigten mit der Auflage einer Geldzahlung eingestellt. Obwohl die Anklageschrift bereits im Mai 2019 vorlag, benötigte das Gericht über drei Jahre für die Terminierung der Verhandlung.

Dieser Angriff war einer von vielen rassistisch motivierten Gewalttaten in Wurzen in diesem Zeitraum. Insgesamt sind dem RAA Sachsen e.V. 26 rassistisch und rechtsmotivierte Körperverletzungsdelikte in Wurzen seit 2017 bekannt. Dazu kommen zahlreiche weitere Fälle von Nötigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen. Nur drei Tage nach diesem Vorfall kam es laut einer Kleinen Anfrage im Landtag zu einem weiteren körperlichen Angriff auf eine aus Eritrea stammende Person. Im Zuge einer Neonazikundgebung in der Folgewoche sowie als Reaktion auf eine antifaschistische Demonstration, kam es zu teils massiven Bedrohungen durch mit Messern und Baseballschlägern bewaffnete Neonazis. Viele weitere rassistisch motivierte Angriffe - unter anderem auf eine schwangere 19-Jährige etwa sechs Wochen später - sind belegt. Einer der Angeklagten musste sich dieses Jahr schon einmal für einen Angriff auf einen Geflüchteten vor Gericht verantworten. Etwa einen Monat nach der heute verhandelten Tat soll er einen Geflüchteten angegriffen haben, der dabei bleibende Schäden davontrug. Auch für diese Tat wurde er nicht verurteilt. 

Obwohl die als ein Zentrum der extremen Rechten geltende Kleinstadt Wurzen in den vergangenen Jahren immer wieder bundesweit Schlagzeilen machte und in den meisten Fällen rechter Angriffe keine Täter ermittelt wurden, schien kein großes Interesse am Verfahren gegen die drei Angeklagten zu bestehen. Im Laufe des Tages sollte sich herausstellen, dass auch die vorsitzende Richterin und die Staatsanwaltschaft wenig motiviert waren eine aufwändige Beweisaufnahme zu beginnen, sondern das Verfahren schnell und ohne weitere Verhandlungstage zum Abschluss bringen wollten. 

Kurz nach 9 Uhr verliest der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt König, die knappe Anklageschrift. Den drei Beschuldigten wird zur Last gelegt am 12. Januar 2018 mit weiteren unbekannten Personen u.a. mit Baseballschlägern, Elektroschockern und weiteren Schlagwaffen ausgestattet in das damals vor allem von Geflüchteten bewohnte Haus in der Dresdener Straße eingedrungen zu sein und dort auf die Bewohner*innen eingeschlagen zu haben. Dabei seien mindestens zwei Personen erheblich verletzt worden. Lautete der Vorwurf für den Ende 2021 schon einmal angesetzten und ausgefallenen Verhandlungstermin noch schwerer Landfriedensbruch, werden den Angeklagten bei der Verhandlung am 14. Juli 2022 nur noch zwei Körperverletzungsdelikte vorgeworfen. 

Rechtsanwalt Schäfer aus Eilenburg, Vertreter eines Angeklagten, schlägt sofort ein Rechtsgespräch vor, Richterin Kippenberger willigt ein, alle weiteren Verfahrensbeteiligten ebenfalls. 

Nach dem Gespräch, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, und der anschließenden Pause wird die Verhandlung gegen 10:35 Uhr fortgesetzt. Die vorsitzende Richterin Kippenberger fasst das Rechtsgespräch zusammen: nach jetzigem Verfahrensstand sei ein Strafmaß von sieben bis zwölf Monaten für Schäfers Mandanten und ein Monatsgehalt als Schmerzensgeld pro Angeklagten diskutiert worden. Sowohl Rechtsanwalt Schäfer als auch Rechtsanwalt Kunath aus Wurzen zeigen zudem die Bereitschaft ihrer Mandanten auf, sich zum angeklagten Vorfall zu äußern. 

In den folgenden etwa neunzig Minuten stellten die Angeklagten den Angriff so dar, als seien sie unbewusst in diese Situation geraten, bzw. als wollten sie lediglich anderen zu Hilfe kommen und seien daraufhin selbst angegriffen worden. Dabei verstrickte sich vor allem Schäfers Mandant in ungenaue, konstruiert wirkende und teils widersprüchliche Aussagen. 

Tatsächlich aber ließe sich aus den von Staatsanwalt König vorgetragenen Passagen der Ermittlungsakten schließen, dass ein Angeklagter in den Stunden vor dem Angriff versuchte, Verstärkung zu mobilisieren. Laut eines WhatsApp-Chats auf seinem Mobilgerät schrieb er, man “müsse[...] da was machen” und “[...] einen Plan machen”. Alle Angeklagten beteuern während des gesamten Verfahrens ihre Unschuld. Sie tun dies auch weiter, als Staatsanwalt König Chat-Nachrichten vorliest, in denen die Tat wiedergegeben, sich rassistisch über die Bewohner*innen des Hauses geäußert und sogar damit geprahlt wird, dass zwei Bewohner schwer verletzt worden sind. Es wird von vollzogener Rache gesprochen. Umso skurriler erscheint es, dass sowohl Richterin Kippenberger als auch Staatsanwalt König zwar erhebliche Zweifel an den Aussagen der Angeklagten äußern und diese teilweise durch die in den Ermittlungsakten festgehaltenen Ergebnisse eindeutig widerlegt sind, Staatsanwalt König jedoch davon spricht, dass die Chat-Nachrichten vor allem “Geprahle” seien.

Sowohl Richterin als auch Staatsanwalt, so scheint es, wollen auf jeden Fall eine umfangreiche Beweisaufnahme vermeiden, die auch ein Hören der fünf geladenen Zeug*innen und weitere Verhandlungstage bedeutet hätte. Zwar regte Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann den Beginn der Beweisaufnahme während der Verhandlung mehrmals an, konnte diese jedoch rechtlich nicht erzwingen.

Nach einem weiteren nicht öffentlichen Rechtsgespräch und einer Unterbrechung durch die Richterin, um die Höhe der Geldauflagen festzusetzen, wird das Ergebnis der Verhandlung verkündet. Das Verfahren wird nach § 153a für alle Angeklagten eingestellt. Demnach sind laut Richterin Kippenberger und Staatsanwalt König sowohl das öffentliche Interesse als auch die Schwere der Schuld nicht gegeben. Es werden lediglich Geldauflagen in Höhe von 1800 Euro, 1600 Euro und 1500 Euro, immerhin teilweise zu zahlen an die Betroffenen, festgesetzt. 

Damit endet eines der seltenen Verfahren des großen Tatkomplexes rassistisch motivierter Angriffe in Wurzen ohne einen einzigen Betroffenen gehört zu haben und mit der Einstellung der Strafverfolgung. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich weder Gericht noch Staatsanwaltschaft über die neonazistische Gefährdungslage in und um Wurzen und die Signalwirkung solcher Prozesse an die Neonaziszene einerseits und an die (potentiell) Betroffenen andererseits bewusst sind. 

Einer der Betroffenen äußerte nach der Einstellung des Verfahrens sein Unverständnis und betonte vor allem, dass er gern als Zeuge gehört worden wäre um seine Wahrnehmung des schweren Angriffs noch einmal darlegen zu können.

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