Meldung 27. Februar 2023

Gedenken an Mike Zerna - Bericht zur Kundgebung in Hoyerswerda

Anlässlich des 30ten Todestages von Mike Zerna fand am 25. Februar 2023 eine Gedenkkundgebung am ehemaligen Konzert-Club "Nachtasyl" in Hoyerswerda statt, um an ihn und alle anderen Opfer rechter Gewalt zu erinnern.

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Mike Zerna starb am 25.02.1993 im Klinikum Hoyerswerda in Folge der schweren Verletzungen, die er während eines Neonaziüberfalls auf ein Metal-Konzert erlitt. In der Nacht vom 19. auf den 20.02.1993 hatten etwa 20-30 rechte Skinheads den Club „Nachtasyl“ gestürmt, um vermeintlich „linke“ Konzertgäste anzugreifen. Zum Zeitpunkt des Überfalls hielt sich Mike Zerna zusammen mit seinem Bruder vor dem Club auf, wo sie Musikinstrumente in einen Kleintransporter luden. Auch sie wurden unvermittelt von mehreren heranstürmenden Personen angegriffen und bewusstlos geschlagen. Anschließend demolierten die Täter das Fahrzeug und stießen es um, sodass Mike Zerna unter ihm eingeklemmt wurde. Er konnte erst eine halbe Stunde später von anderen Gästen geborgen werden und erlag fünf Tage später seinen Verletzungen.

Gemeinsam mit Angehörigen und weiteren Betroffenen des Überfalls erinnerten am 25.02.2023 etwa 50 Personen mit einer Kundgebung am damaligen Tatort in der Hoyerswerdaer Neustadt an Mike Zerna. In einem Eröffnungsredebeitrag wurden der Überfall und die damaligen Reaktionen in der Stadt im Kontext der rechten Gewaltwelle zu Beginn der 1990iger Jahre thematisiert. Anschließend wurde ein Interview mit Mike Zernas Bruder aus dem Jahr 2021 abgespielt, in welchem er den damaligen Angriff aus seiner Sicht schilderte und über seinen Bruder sprach. In einem weiteren Redebeitrag setzte sich die Autorin Grit Lemke kritisch mit dem damaligen und heutigen Umgang mit rechter Gewalt und einem fehlenden Gedenken in Hoyerswerda auseinander. Zum Abschluss folgte ein Redebeitrag, in dem an die weiteren Todesopfer rechter Gewalt in der Region erinnert wurde. Die Veranstaltung endete mit einer Schweigeminute für Mike Zerna und alle anderen Todesopfer rechter Gewalt.

Nachfolgend finden sich das von uns eingesprochene Interview mit Mike Zernas Bruder sowie Fotos und unser Eröffnungsredebeitrag von der Kundgebung. Wir bedanken uns bei den Angehörigen und allen, die uns bei den Vorbereitungen der Kundgebung unterstützt und mit uns gemeinsam an Mike Zerna erinnert haben.

Erinnerung an Mike - Interview mit Frank Zerna

Bilder der Kundgebung

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Redebeitrag von Support Dresden zur Gedenkkundgebung

Wir haben uns heute an dem Ort versammelt, an dem sich zu Beginn der 1990iger Jahre der Club „Nachtasyl“ befand. Vor dreißig Jahren, in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1993 ereignete sich hier ein Neonazi-Angriff, bei dem der damals 22-jährige Mike Zerna so schwer verletzt wurde, dass er wenige Tage später im Hoyerswerdaer Klinikum verstarb.

Am Abend des Überfalls hatte ein Konzert mit zwei regionalen Metal-Bands im „Nachtasyl“ stattgefunden, das damals als eher alternativer Club galt. Bereits zu Beginn der Veranstaltung war es dabei zu einer Auseinandersetzung zwischen Gästen und einigen Neonazis aus Hoyerswerda gekommen, die ebenfalls Einlass erhalten hatten, obwohl sie unerwünscht waren. Nachdem sie den Club daraufhin wieder verließen, wurde ihr Auto durch einen Steinwurf beschädigt.  In der Folge tauchten weitere Rechte vor dem Club auf und provozierten davorstehende Besucher*innen, bevor auch sie sich, nach einer erneuten Auseinandersetzung, zurückziehen mussten.

Während das Konzert zunächst störungsfrei beendet werden konnte, sammelten sich die Neonazis im nicht weit entfernten Jugendklubhaus Ossi und versuchten dort weitere Leute zu mobilisieren, um sich an den vermeintlich „Linken“ im „Nachtasyl“ zu rächen. Um kurz nach 0Uhr fuhren schließlich etwa 20-30 Personen zurück in die Ziolkowskistraße und überfielen die nach dem Ende des Konzertes noch verbliebenen Besucher*innen des Clubs. Obwohl es einigen Gästen noch gelang zu fliehen oder sich innerhalb der Räumlichkeiten zu verstecken, wurden während des etwa 20-minütigen Angriffs mehrere Menschen in- und außerhalb des „Nachtasyls“ brutal zusammengeschlagen und zum Teil schwer verletzt.

Mike Zerna, der mit seiner Familie in Vetschau bei Lübbenau lebte, war an diesem Abend als Fahrer einer der auftretenden Bands und gemeinsam mit seinem Bruder nach Hoyerswerda gekommen. Zum Zeitpunkt des Überfalls befanden sich die beiden vor dem „Nachtasyl“, um Musikinstrumente in Mike Zernas Kleintransporter einzuladen. Auch sie wurden unvermittelt von mehreren heranstürmenden Personen angegriffen und bewusstlos geschlagen. Anschließend demolierten die Täter das Fahrzeug und stießen es um, sodass Mike Zerna unter ihm eingeklemmt wurde. Er konnte erst eine halbe Stunde später von anderen Gästen geborgen werden, nachdem die Täter geflohen waren.  Nach einer erfolgreichen Reanimation erlag er fünf Tage später in der Notaufnahme seinen Verletzungen ohne noch einmal das Bewusstsein zu erlangen.

Mit dem tödlichen Überfall auf das  „Nachtasyl“ geriet Hoyerswerda ein weiteres Mal aufgrund rechter Gewalttaten in die Medien. Der Fall erregte jedoch nicht nur deshalb große Aufmerksamkeit, weil die Stadt nach den rassistischen Ausschreitungen vom September 1991 bereits bundesweit als rechte Hochburg berüchtigt war. Für Schlagzeilen sorgte auch, dass einer der acht Verdächtigen, die bereits kurz nach der Tat ermittelt werden konnten, im städtischen Polizeigewahrsam Selbstmord verübte. Weil jener in der Hoyerswerdaer Rechtsrockband „Bollwerk“ gespielt hatte, organisierte die hiesige Naziszene ihm zu Ehren ein Gedenkkonzert, zu dem 250 Personen erschienen und das nur einen Tag nach Mike Zernas Tod im benachbarten Bernsdorf stattfand.

Zudem wurde bereits wenige Tage nach der Tat bekannt, dass die Polizei trotz mehrerer Notrufe erst nach etwa einer halben Stunde am „Nachtasyl“ eingetroffen war, obwohl die beiden eingesetzten Streifenwagen vorher bereits mehrfach am Club vorbeigefahren waren. Offenbar hatte der wachhabende Beamte, der die Notrufe entgegennahm, sie lediglich „über ruhestörenden Lärm” informiert, sodass sie zunächst in der Umgebung nach flüchtigen Tätern suchten, ohne sich ein direktes Bild vor Ort zu verschaffen. Weil die dadurch verstrichene Zeit Mike Zerna womöglich das Leben kostete, wurden in der Folge auch Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der Strafvereitelung im Amt geführt.

Obwohl die Sonderkommission Rechtsextremismus die Ermittlungen übernommen hatte, wurde ein politisches Tatmotiv von Seiten der Stadtverwaltung und Lokalpolitikern zunächst ausgeschlossen. Die Bezüge der Tatverdächtigen zur lokalen Neonaziszene waren jedoch offensichtlich, einige von ihnen waren bereits wegen der rassistischen Krawalle vom Herbst 1991 und anderer einschlägiger Delikte verurteilt worden.

In Reaktion auf diese Äußerungen unterbrachen einige dutzend alternative Jugendliche eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung und forderten die Verantwortungsträger öffentlich auf, die immer weiter eskalierende Gewalt von rechts endlich ernst zu nehmen und ihren Schutz vor weiteren Angriffen zu gewährleisten. Auch Mike Zernas Mutter forderte gegenüber der Presse eine lückenlose Aufklärung und eine angemessene Bestrafung der Täter. Sie äußerte ebenfalls die Befürchtung, dass die Reaktionen auf die Tat weniger eine Offenlegung aller Hintergründe, sondern eher die Wahrung des Ansehens der Stadt zum Ziel haben könnten.

Am 5. März fand im Beisein von Familie und Freunden die Trauerfeier für Mike Zerna in Vetschau statt. In Hoyerswerda hielt die Debatte um die Tat derweil an, weil sich am darauffolgenden Tag etwa 50-100 linke Jugendliche aus der Region zu einer Gedenkdemonstration in Hoyerswerda versammelt hatten, bei der auch einige Scheiben am Rathaus sowie am Jugendclubhaus Ossi eingeworfen wurden. Trotz dessen ließen sich nun auch in den Lokalmedien immer öfter kritische Stimmen vernehmen, die den gängigen Gleichsetzungen von rechts und links, relativierenden Perspektiven auf Jugendgewalt oder verständnisvollen Worten für rechte Gewalttäter wiedersprachen.

Zwar wurde nach wie vor kaum ein Bezug zu anderen rechten Angriffen und Morden hergestellt, die in der Region stattfanden. Dennoch fielen Berichte über erneut ins Leben gerufene Gesprächsrunden mit rechten Jugendlichen zunehmend ernüchternd aus. Resigniert wurde festgestellt, dass die Polizei offensichtlich nicht in der Lage war, für die nötige Sicherheit in der Stadt zu sorgen, obwohl Hoyerswerda seit Jahren als Kriminalitätsschwerpunkt galt.  Als Ende März sieben jugendliche Neonazis für einen Überfall auf den alternativen Treffpunkt „Laden“ lediglich zu Sozialstunden verurteilt wurden, obwohl sie eine Person schwer verletzt hatten, fragte selbst die Sächsische Zeitung, ob die Täter durch solche Urteile tatsächlich bestraft oder nicht eher ermuntert würden.

Der Mord an Mike Zerna machte zudem deutlich, dass die Versuche einer akzeptierenden Jugendarbeit mit Rechten, die nach den Krawallen von 1991 in der Stadt unternommen wurden, die Situation nicht befriedet, sondern vielleicht sogar verfestigt hatten. So wurde der Szene, aus der die Mörder von Mike Zerna kamen, nach etlichen Drohungen und gewalttätigen Aktionen im Jahr 1992 ein eigenes Clubhaus im WK X überlassen. Fortan ließen deren Gewalttaten in der Region zwar nicht nach, dafür verfügten lokale Neonazi-Bands wie „Bollwerk“ nun aber über eigene Probe- und Veranstaltungsräume und konnten ein Symphatisant*innenumfeld aufbauen, das aus mehreren hundert Personen bestand.

Ebenso diente der Club als Stützpunkt der im Dezember 1992 verbotenen militanten Neonazi-Partei „Deutsche Alternative“, die offen zu Gewalttaten aufrief und Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in der Region koordinierte. Die einseitige und unkritische Fokussierung der Politik auf rechte Jugendliche nahm zunehmend absurde Züge an. Während für die Betroffenen und Hinterbliebenen des Gewaltexzesses im „Nachtasyl“ keinerlei Unterstützungsangebote existierten, brachen fünf Neonazis aus dem direkten Umfeld der Angreifer einen Monat nach der Tat mit ihren Freundinnen zu einer staatlich finanzierten Begegnungsfahrt in die Türkei auf, um ihre rassistischen Vorurteile abzubauen.

Über ein Jahr später fand vor der Jugendkammer des Landgerichts Bautzen schließlich der Prozess gegen insgesamt zwölf ermittelte Angeklagte im Alter von 18 bis 24 Jahren statt. Die Aufklärung des Todes von Mike Zerna gestaltete sich jedoch schwierig, weil die Polizei nur unzureichend Beweise gesichert hatte und die Anklage sich im Wesentlichen auf die Einlassungen der Beschuldigten stützte. Viele Fragen zum konkreten Tathergang und der Rolle der einzelnen Beteiligten blieben somit offen.

Trotz erheblicher Zweifel an den angegebenen Alkoholmengen, die die Beschuldigten in der Tatnacht konsumiert haben wollten, ging das Gericht von deren „erheblich verminderter Schuldfähigkeit“ aus und senkte allein aus diesem Grund den erwartbaren Strafrahmen für die angeklagten Taten erheblich.  Allein der Umstand, dass sie aus Hoyerswerda und zum Teil aus schwierigen sozialen Verhältnissen kamen, wirkte sich zusätzlich zur langen Verfahrensdauer zu ihren Gunsten aus. Im Urteil heißt es dazu, sie hätten Schwierigkeiten gehabt, in der Wendezeit einen Arbeits- und Ausbildungsplatz zu finden und keine staatsbürgerliche Schulung auf die neue BRD und den Rechtsstaat erhalten. Weil sie mit Politik wenig und mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen wussten, hätten sie sich der rechten Szene angeschlossen.

Letztlich wurden die Angeklagten im Juli 1994 u.a. wg. schwerem Landfriedensbruch und Körperverletzung sowie Totschlag durch Unterlassen und fahrlässiger Tötung verurteilt. Acht von ihnen erhielten Jugend- und Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren und drei Monaten und vier Jahren. Die Übrigen kamen mit Bewährungsstrafen davon.

Obwohl klar festgestellt wurde, dass die Täter das „Nachtasyl“ aufgesucht hatten, um gezielt und mit äußerster Brutalität Menschen anzugreifen, die sie für Linke hielten, sah der leitende Staatsanwalt „keine rechtsradikalen Hintergründe“. Gleichwohl beschrieb er den Angriff als einen Racheakt, der von „maßloser Selbstjustiz und menschenverachtender Gewalttätigkeit“ geprägt war.

Mike Zernas Mutter zeigte sich nach der Urteilsverkündung fassungslos über die geringen Strafen und die Urteilsbegründung. Gegenüber Journalisten sagte sie: „Mein Sohn ist in keinen anderen Verhältnissen aufgewachsen als diese Jungs.“ Noch im gleichen Jahr wurde Mike Zerna von Seiten der Bundesregierung als Opfer rechter Gewalt anerkannt.

Heute, 30 Jahre nach seinem Tod, sind er und die weiteren Todesopfer in der Region nahezu vergessen. Noch immer aber zeigen sich im Umgang mit rechter Gewalt identische Defizite bei Polizei, Justiz und Politik. Wir möchten den heutigen Tag daher zum Anlass nehmen, um an Mike Zerna und alle anderen Opfer rechter Gewalt zu erinnern und eine lückenlose Aufklärung solcher Taten einzufordern.

Weitere Informationen zu Mike Zerna und weiteren Todesopfern rechter Gewalt in der Region unter:

https://www.hoyerswerda-1991.de/nach-1991/opfer-rechter-gewalt.html

https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/todesopfer/

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