Meldung 16. Mai 2025

Empfehlungen für einen nationalen Aktionsplan

Der VBRG e.V. fordert einen Nationalen Aktionsplan gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt. Nötig sind bessere Opferrechte, gesetzliche Grundlagen für Beratungsstellen, effektive Strafverfolgung und der Schutz demokratischer Strukturen.

Empfehlungen des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Berlin, 13.05.2025

Sicherheit für alle, verbesserter Opferschutz und effektive Strafverfolgung: Die Bundesregierung muss den Schutz der Inneren Sicherheit und der Gesellschaft vor rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt durch einen ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan zum Schwerpunkt machen.

Empfehlungen für einen ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus

Die Bekämpfung rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Sicherheit aller Menschen, die in Deutschland leben. Täglich werden mindestens neun rechts, rassistisch und/oder antisemitisch motivierte Angriffe verübt. Durchschnittlich werden pro Tag 12 Menschen Opfer einschlägiger Gewalttaten. Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich die Zahl der Angriffe verdoppelt: Das zeigen sowohl die Statistiken des BKA zu politisch motivierter Gewalt in der Kategorie Hasskriminalität als auch das Monitoring des Dachverbands der Opferberatungen VBRG e.V.

Während sich rechte Gewalt im Windschatten der Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und NS-Verherrlichung zum Massenphänomen entwickelt, verändern die Folgen der Gewalt und Bedrohungen den Alltag und das Leben sehr vieler Menschen: Kinder, Jugendliche, Familien, Eltern und Großeltern, Angehörige und Freund*innen. Emotionale und finanzielle Belastung u. a. in jahrelangen Ermittlungsverfahren, anhaltende Bedrohungen nach rassistischen Angriffen von Nachbar*innen, erzwungene Arbeits-, Ausbildungsplatz- und Schulwechsel nach rechten Angriffen durch Kolleg*innen, Vorgesetzte, Mitschüler*innen und Pädagog*innen bis hin zur Aufgabe von politischen Mandaten oder Umzügen und Verlust von Heimat und sozialen Netzwerken – all das ist Realität betroffener Menschen. Viele Betroffene werden durch die im Dachverband zusammengeschlossenen unabhängigen und professionellen Gewaltopfer- und Betroffenenberatungsstellen unterstützt. Die fachspezifischen Opferberatungsstellen stehen an der Seite der Betroffenen: sie beraten, entlasten, informieren, begleiten und geben Orientierung – etwa zu Opferrechten im Strafverfahren und zu finanziellen Hilfen. Mit ihrem interdisziplinären Ansatz sind sie ein etabliertes Angebot der Opferhilfe und Sozialen Arbeit.

Um die Demokratie und die Sicherheit aller zu schützen, muss die Bundesregierung mit einem ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan deutlich machen: Der Rechtsstaat lässt die Angegriffenen nicht im Stich.

Betroffene rechter Gewalt schützen, Demokratie stärken, Beratungsangebote fördern

1) Bundesprogramm „Demokratie leben!“ erhalten, ausbauen und vor Angriffen schützen

Das Bekenntnis zum Erhalt des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ mit den tragenden Säulen der Beratungsarbeit, der Landesdemokratiezentren und Kompetenznetzwerke im Koalitionsvertrag ist ein wichtiges Signal, um weiterhin den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu gewährleisten. Denn u. a. der Mord an Walter Lübcke, rechtsterroristischen Anschläge wie in Hanau, Halle und München, der Anstieg rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in 2024 und die Flut an Desinformationen, die das Vertrauen in Demokratie untergraben und Radikalisierung verstärken, zeigen: Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung von Bundesregierung und demokratischer Zivilgesellschaft, um auf diese Gefahren für die Demokratie langfristige Antworten zu finden und Lösungen zu ermöglichen. Die Gewaltopferberatungsstellen verfügen über jahrzehntelange Erfahrung und Expertise in der konkreten Unterstützung, Prävention und Aufklärung. Sie stehen als kompetente Partner zur Verfügung, die vor Ort und flächendeckend Betroffene unterstützen und die Demokratie verteidigen.

2) Langfristige Sicherheit durch gesetzliche Grundlagen für Fachberatungsstellen und den Terrorismus-Opferbeauftragten der Bundesregierung

  1. Eine dauerhafte Absicherung der Arbeit von Beratungsstellen wie den Opferberatungsstellen, Mobilen Beratungsteams und der Antidiskriminierungsberatung durch ein entsprechendes Gesetz ist dringend notwendig. Damit setzt die Bundesregierung auch die Vorgaben aus der EU-Opferschutzrichtline 29/2012 um und stärkt das Vertrauen aller Bürger*innen in den Rechtsstaat. Seit über 25 Jahren leisten die Fachberatungsstellen ihre unersetzliche Arbeit trotz jeweils nur einjähriger Förderungen im Rahmen von wechselnden Demokratieprogrammen. Diese prekäre Finanzierungslage führt nicht nur zu Unsicherheit für die Fachstellen und ihre Mitarbeitenden, sondern erschwert auch den Aufbau langfristiger Strukturen, belastet die Qualität der Arbeit und gefährdet die kontinuierliche Unterstützung für Betroffene – eine derart instabile Grundlage wird dem gesellschaftlichen Auftrag der Beratungsstellen in keiner Weise gerecht. Der Anspruch von Betroffenen auf fachspezifische Hilfe und Beratung muss jetzt gesetzlich verankert werden – analog zu den Fachberatungsstellen im Bereich sexualisierte Gewalt oder in der Gesundheitsprävention. Eine langfristige Förderung sichert Qualität, Kontinuität und schnelle Hilfe für Betroffene – insbesondere angesichts mehrjähriger Instanzenwege. Damit setzt der Rechtsstaat ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen von Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung insgesamt.

  2. Die Arbeit des Terrorismusopferbeauftragten der Bundesregierung muss durch eine schnelle Verabschiedung des Referentenentwurfs für ein „Gesetz über eine Beauftragte oder einen Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen Straftaten im Inland“ (Bundesopferbeauftragtengesetz – BOpfBeG) gestärkt werden. Damit folgt die Bundesregierung der EU-Opferschutzrichtlinie 29/2012, die einen gesetzlichen Rahmen für die Arbeit eines*einer Bundesopferbeauftragten vorsieht. Angesichts der Vielzahl terroristischer Anschläge ist dies ein wichtiges Signal an Attentatsbetroffene, ihre Angehörigen sowie die Opferbeauftragten der Länder und die zivilgesellschaftlichen Institutionen der Opferhilfe. Diese arbeiten im Sinne der Betroffenen – wie etwa die spezialisierten Opferberatungsstellen im VBRG – seit Jahren eng und vertrauensvoll mit der Geschäftsstelle und dem jeweiligen Terrorismusopferbeauftragten der Bundesregierung zusammen.

  3. Opferschutz stärken und verbessern: Die Bundesregierung muss sich für die geplante Reform der EU-Opferschutzrichtlinie 29/2012 einsetzen. Dazu gehört ein verbesserter Opferschutz insbesondere für besonders vulnerable Betroffene – wie Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Betroffene von Hasskriminalität. Dazu gehört ein leichterer und verbesserter Zugang zu Informationen über die Opferrechte in Strafverfahren, psychologische Hilfen (wie etwa mehrsprachige, rassismus- und antisemitismussensible Angebote in Trauma-Ambulanzen) ebenso wie ein Zeugnisverweigerungsrecht für Opferberater*innen und weitere Berufsgruppen der Sozialen Arbeit durch eine Reform von §53 Strafprozessordnung (StPO). Die Vertraulichkeit in der Beratungsarbeit der professionellen Opfer- und Betroffenenberatungsstellen muss umfassend geschützt werden.

  4. Effektive Strafverfolgung als Opferschutz: Eine effektive Strafverfolgung bei rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wirkt für Betroffene oft entlastend, trägt zur Wiedergutmachung bei und schützt sie vor Wiederholungstaten. Um diese zu gewährleisten, bedarf es Schwerpunktstaatsanwaltschaften in allen Bundesländern. Eine Spezialisierung führt auch zu besserem Opferschutz, da diese durch vertiefte Kenntnisse auf die Bedürfnisse von Betroffenen eingehen können.

3) Digitales Gewaltschutzgesetz, Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und Reform des Melderechts als Prioritäten aus dem Koalitionsvertrag

  1. Die schnelle Umsetzung eines digitalen Gewaltschutzgesetzes – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – ist ein wichtiger Baustein zum Schutz vieler Betroffener, des demokratischen Diskurses und der Prävention. Digitale rechte, rassistische und antisemitische Anfeindungen sind oftmals Ausgangspunkt für weitergehende Angriffe bis hin zu Botschaftsverbrechen wie beim Mord an Walter Lübcke. Ein digitales Gewaltschutzgesetz sollte auch die Möglichkeit eines Verbandsklagerechts einschließen, ebenso wie erweiterte Ressourcen für die Beratung Betroffener und den Auf- und Ausbau von Schwerpunktstaatsanwaltschaften.

  2. Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts muss – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – schnell umgesetzt werden und klarstellen: Gemeinnützige Organisationen dürfen politisch tätig sein. Denn nur so wird Rechtssicherheit für die wichtige Arbeit zivilgesellschaftlicher Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen ermöglicht. Die Opferberatungsstellen und ihre Trägervereine müssen vor Angriffen auf ihre Gemeinnützigkeit durch rechtsextreme Denunziationen geschützt werden.

  3. Eine Überarbeitung des Melderechts – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – muss den Schutz aller beinhalten, die als politische Gegner*innen von rechtsextremen Akteur*innen bedroht und angegriffen werden: dazu gehören Mandatsträger*innen ebenso wie Journalist*innen, Engagierte in zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen wie etwa Gewerkschaften, Umweltverbände, Kirchen oder Migrant*innen-Organisationen. Mit einer Überarbeitung des Melderechts muss die Umsetzung bestehender und künftiger Schutzregelungen in den kommunalen Meldebehörden erheblich verbessert werden.

4) Teilhabe und Schutz vulnerabler Gruppen stärken

Viele Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt werden durch ein breites Netz an Hilfsangeboten stabilisiert und unterstützt. Dazu gehören sowohl professionelle Verweisberatungsstellen wie Asyl- und Migrationsberatungsstellen, Beratungsstellen für LGBTIQ*, Antidiskriminierungsberatungsstellen sowie Psychosoziale Zentren – ebenso wie die überwiegend ehrenamtlichen selbstorganisierten Überlebenden- und Hinterbliebenen-Initiativen, die im bundesweiten Betroffenennetzwerk organisiert sind. Ihre Förderung und ihr Strukturaufbau u. a. durch Mittel des Bundes, der Länder und der bisherigen Antirassismusbeauftragten der Bundesregierung muss weiterhin gewährleistet werden. Dies gilt auch für den Ansatz der communitybasierten Antirassismusberatungsstellen.

Download: Empfehlungen des VBRG für einen Nationalen Aktionsplan (PDF)

Alle Beiträge sehen