Neuigkeit 10. November 2021

Graphic Recording der Podiumsdiskussion zur „Aktualität des Antisemitismus in Ostsachsen“

Ein Rückblick auf unsere Auftaktveranstaltung in Wort und Bild

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Mit 49 Teilnehmer*innen, darunter auch geladene Gäste aus Politik und Verwaltung, begingen wir am 5. September 2021 unter dem Titel „Aktualität des Antisemitismus in Ostsachsen“ die öffentliche Auftaktveranstaltung des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen (BgA-Ostsachsen).

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Die Eröffnung der Veranstaltung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden erfolgte durch Robert Kusche, Geschäftsführer des Projektträgers RAA Sachsen e.V.. In seiner Rede erklärte er zunächst den Hintergrund der Gründung des BgA-Ostsachsen. Diese sei zum einen auf die drastische Zunahme antisemitischer Straftaten in Deutschland und Sachsen zurückzuführen. Genauso sei sie aber auch Reaktion auf die neue Dimension der durch Antisemitismus motivierten Gewalt, wie sie sich z.B. in den Anschlägen von Halle und Hanau zeige. Wolle man dieser Entwicklung nicht einfach nur zusehen, brauche es breite gesellschaftliche Bündnisse, die sich entschieden an die Seite der Betroffenen stellen und neue Ansätze im Kampf gegen den Antisemitismus diskutieren und erproben. Darüber hinaus erläuterte Robert Kusche den Ansatz, die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in das Zentrum der Bündnisarbeit zu stellen. Der Kampf gegen den grassierenden Antisemitismus könne nur Erfolg haben, wenn zeitgleich auch Aufklärung über die Vielseitigkeit jüdischen Lebens betrieben werde. Sie sei eine wesentliche Voraussetzung für den Abbau von Vorurteilen und damit für eine Normalisierung jüdischen Lebens in unserer Gesellschaft.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auf die Eröffnungsrede folgten die Grußworte von Christian Avenarius, Leiter der Abteilung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Dr. Nora Goldenbogen, Präsidentin des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, sowie von Dr. Petra Follmar-Otto, Vorständin der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Während die Grußworte von Christian Avenarius und Dr. Petra Follmar-Otto die Notwendigkeit des Handelns im Angesicht einer Zunahme antisemitischer Propaganda und Gewalt unterstrichen sowie die besondere Rolle lokaler und multiperspektivischer Netzwerke im Kampf gegen das globale Problem Antisemitismus betonten, gab Dr. Nora Goldenbogen mit ihrem Grußwort einen sehr persönlichen Einblick in die aktuelle Lebenswelt der Jüdinnen und Juden in Sachsen.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Sie schilderte nicht nur, wie sie die schreckliche Nachricht vom Anschlag in Halle in einer kurzen Pause der Gemeindefeier am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur erfuhr, sondern auch welche Zäsur das Attentat für die Jüdischen Gemeinden bedeutete: „Mit Halle hat sich etwas Grundlegendes verändert. Die Gefahr ist nicht mehr abstrakt und verbal. Sie ist real und kann Leben kosten.“ Umso beunruhigter zeigte sich Dr. Nora Goldenbogen über die bundesweiten Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, die, wie schon andere Pandemien zuvor, zu einer Reaktivierung und Verbreitung längst überkommen geglaubter antisemitischer Verschwörungsmythen geführt hätten. Die Anti-Corona-Proteste seien aber auch aus einem anderen Grund nur schwer auszuhalten: So stelle die Entlehnung des Gelben Sterns durch einige der Demonstrant*innen eine unerträgliche Gleichsetzung der Pademiepolitik mit dem systematischen Massenmord des NS-Regimes dar, die verkenne, dass das Tragen des Gelben Sterns im Nationalsozialismus das Zeichen für die Freigabe zum Abschuss gewesen sei.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Nach den bewegenden Worten zur Einführung der Veranstaltung kamen schließlich einige der Mitglieder des BgA-Ostsachsen auf der Bühne des Kleinen Hauses zur Podiumsdiskussion zusammen. Neben Ekaterina Kulakova von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden waren das Anne Kleinbauer von der Netzwerkstatt der Hillerschen Villa gGmbH, Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen e.V. sowie Franziska Stölzel von der Initiative Stolpersteine für Weißwasser. Moderiert von Kathrin Krahl, Geschäftsführerin der Stiftung Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, und Anna Olbrich, Projektleiterin der Initiative Tacheles Oberlausitz, diskutierten die Podiumsgäste nicht nur, wie und wo sie Antisemitismus in den verschiedenen Regionen Ostsachsens wahrnehmen, sondern auch welche spezifischen Ansatzpunkte ihre Organisationen zur Bekämpfung des Antisemitismus verfolgen.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den Anfang der Runde machte Franziska Stölzel aus Weißwasser. In ihrem Beitrag informierte sie zunächst über die Arbeit der ehrenamtlichen Initiative, welche darin bestehe, die Verlegung von Stolpersteinen in Weißwasser zu organisieren sowie darüber hinaus die Geschichte der Weißwasseraner Jüdinnen und Juden zu erforschen und bekannt zu machen. Einen Schwerpunkt legte Franziska Stölzel auf die Tatsache, dass im bundesweiten Vergleich nur sehr wenige Stolpersteine außerhalb der Großstädte Sachsens verlegt worden seien. In ihren Augen trägt dieser Umstand zur mangelnden Sensibilität gegenüber Antisemitismus in Sachsen bei. Denn Stolpersteine könnten unter anderem vergegenwärtigen, dass der Antisemitismus nie weit weg gewesen sei und dass er auch die unmittelbaren Nachbar*innen betreffen könne.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den zweiten Podiumsbeitrag leistete Anne Kleinbauer von der Hillerschen Villa in Zittau. Nachdem sie zunächst über ihre Tätigkeit als politische Bildnerin rund um den jüdischen Friedhof in Zittau berichtete, bei der sie immer wieder auch mit geschichtsrevisionistischen bis antisemitischen Äußerungen von Jung und Alt konfrontiert werde, teilte sie mit den Gästen ein besonderes Aha-Erlebnis ihrer Arbeit. Dieses besteht in der positiven Erfahrung, dass es bei Schüler*innen, die sich mit den Biografien der im Nationalsozialismus verfolgten Jüdinnen und Juden befassen, häufig „Klick“ mache. Anne Kleinbauer führte dies auf die besondere Wirkung der Biografien zurück. Sie seien zum einen in der Lage, abstrakte Sachverhalte wie die systematische Verfolgung der Jüdinnen und Juden am Einzelfall konkret werden zu lassen. Zum anderen ließen sie aber auch einen Blick hinter dominierende Zuschreibungen zu. So könnten sie z.B. vergegenwärtigen, dass Jüdinnen und Juden nicht nur Opfer, sondern ganz normale Menschen mit individuellen Vorlieben und diversen sozialen oder politischen Netzwerken gewesen seien.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auf die Beiträge aus der Oberlausitz folgten die unserer Gesprächspartnerinnen aus Dresden. Von ihnen machte Ekaterina Kulakova von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden den Anfang. Ekaterina Kulakova beschrieb zunächst die große Hoffnung mit der sie 2005, so wie viele Jüdinnen und Juden vor und nach ihr, als Kontingentgeflüchtete aus der ehemaligen Sowjetunion nach Dresden kam. Schnell musste sie jedoch feststellen, dass der Antisemitismus auch in Deutschland nicht verschwunden war. Ein erneutes Gefühl der Fremdheit schlich sich ein. Verstärkt wurde das Gefühl durch die Erfahrung einer doppelten Diskriminierung: Da über 95 Prozent der Jüdischen Gemeindemitglieder in Dresden russischsprachig seien, stelle sich bei Anfeindungen immer wieder die Frage, ob sie aus Fremdenhass oder Antisemitismus erfolgen. Dennoch will sie nicht klein beigeben: Vor allem das Engagement der vielen jungen Menschen, die erkannt hätten, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem von Jüdinnen und Juden sei, mache ihr Hoffnung, dass es besser werde.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auch der letzte Beitrag des Podiums von der Mitarbeiterin des Kulturbüro Sachsens e.V., Petra Schickert, machte Mut. Ausführlich informierte sie über eine Vielzahl von Initiativen im ländlichen Raum, die sie sowohl beruflich als auch privat bei der Entstehung und Entwicklung begleitete. Dass das Thema Antisemitismus besonders in den kleinen Städten bearbeitet werden müsse, habe den einfachen Grund, dass es vor allem dort wenig Berührungspunkte und viel Unwissen über das jüdische Leben gebe. Wolle man dem Antisemitismus effektiv begegnen, dürften die ländlichen Regionen, wie u.a. die Proteste an der B96 bewiesen, nicht vergessen werden.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete schließlich ein Interview mit dem Sächsischen Landesbeauftragten für das Jüdische Leben, Dr. Thomas Feist. Auf die Frage, was er aus der Veranstaltung mitnehme, erwiderte Dr. Feist, dass es sowohl einer materiellen als auch ideellen Besserstellung des Engagements gegen Antisemitismus bedürfe. Ein Mittel dafür könne z.B. die Stiftung eines jährlichen Preises sein, der die zahlreichen Aktivitäten für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens und den Kampf gegen Antisemitismus einer breiten Öffentlichkeit bekannt mache. Und auch einen symbolischen Schirmherrn hatte Dr. Feist bereits im Hinterkopf: So wüssten noch zu wenige, dass der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Georg Gradnauer, der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie gewesen sei.

Wir begrüßen die Pläne des Landesbeauftragten und werden ihre Entwicklung aufmerksam verfolgen. Darüber hinaus geht unser Dank an alle Redner*innen, Organisator*innen und Unterstützer*innen der Auftaktveranstaltung. Nur durch ihre Mitwirkung wurde sie zu einem vollen Erfolg.

DSC_0656.JPG

Alle Beiträge sehen