Dokumentation der Bündnisaktivitäten

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Erstes Treffen des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen

Nach einer halbjährigen Planungs- und Antragsphase kamen am 6. Oktober 2020 17 Vertreter*innen der jüdischen Community und der Zivilgesellschaft zum ersten Treffen des "Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen" zusammen.

Bei Kaffee, Kuchen und koscheren Snacks standen zunächst das gegenseitige Kennenlernen der Bündnismitglieder und die Vorstellung des Projektentwurfs im Vordergrund. Im Anschluss ging die Arbeit des Bündnisses sodann richtig los: In drei verschiedenen Arbeitsgruppen legten wir nicht nur die Grundlage für die analoge und digitale Struktur unserer Arbeit, sondern diskutierten auch über Weiterbildungsbedarfe im Bündnis, mögliche Veranstaltungsformate sowie über die Aufnahme weiterer Vereine und Initiativen in unseren Zusammenschluss. Mit dem Austausch über die Ergebnisse der Gruppenarbeit und ersten verbindlichen Verabredungen ging das Treffen schließlich zu Ende.

Das Fazit des Tages: Schon jetzt engagieren sich in Dresden und Ostsachsen zahlreiche Akteur*innen im Kampf gegen Antisemitismus und sammeln dabei täglich wertvolle Erfahrungen und Expertisen. Um dem derzeit wieder grassierenden Antisemitismus effektiv begegnen zu können, bedarf es jedoch einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung. Und zu dieser will das Bündnis seinen Teil beitragen: Es will das Wissen und die Angebote seiner Mitglieder bündeln und verstärken und zugleich eigene Formate im Kampf gegen den Antisemitismus entwickeln. Mit dieser Perspektive schauen wir zuversichtlich in die Zukunft und freuen uns auf den weiteren Austausch.

PS: Einen besonderen Dank möchten wir an das Herbert-Wehner-Bildungswerk und das Kulturbüro Sachsen aussprechen. Die toll ausgestatteten Räume und die sehr gute Beratung und Begleitung bei der Planung und Durchführung des Treffens haben wesentlich zu dessen Erfolg beigetragen.

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Ein Jahr Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen

Vor knapp einem Jahr kamen 13 Organisationen und Vereine aus der jüdischen Community und der Zivilgesellschaft Ostsachsens zum ersten Treffen des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen (BgA-Ostsachsen) zusammen. Seither ist viel geschehen. Zeit für einen Rückblick.

Bündnismitglieder und ihre Hintergründe

Seit unserem ersten Treffen hat sich die Mitgliederzahl des BgA-Ostsachsen auf 26 verdoppelt. Dies verdeutlicht die Relevanz des Themas für viele Organisationen und Vereine aus der Region. Es ist aber nicht nur die Anzahl der Partner*innen, die Hoffnung auf zukünftige Erfolge des Bündnisses im Kampf gegen den Antisemitismus macht, sondern auch die Vielseitigkeit ihrer Hintergründe und Perspektiven. Das Bündnis vereint die Beständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit jüdischer und migrantischer Selbstorganisationen, das selbstlose Engagement ehrenamtlicher Initiativen und die praktischen Erfahrungen der Träger*innen von Bildungs- und Beratungsprojekten.

Die Anzahl der Organisationen, ihre Diversität und unterschiedliche Perspektiven sind für die Arbeit des Bündnisses eine spannende Herausforderung: Wie bekommt man möglichst viele Teilnehmer*innen zu den regelmäßigen Treffen zusammen? Wie eröffnet man gemeinsame Räume für Diskussion und Streit? Wie dokumentiert man die Gruppenprozesse transparent und nachvollziehbar? Die meisten organisatorischen Hürden konnten wir überwinden und profitieren als heterogener Zusammenschluss nunmehr davon, dass wir das Thema Antisemitismus aus unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam erschließen konnten.

Gemeinsame Weiterbildungen

In einer ersten Weiterbildung haben wir uns im Rahmen eines Vortrags des Historikers Stefan Schwarz vom HATiKVA e. V. mit der langen Geschichte und den aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus befasst. Dabei wurde uns die Entwicklung und Diversifizierung des Antisemitismus von seinen Anfängen im christlichen Antijudaismus über den säkularisierten Antisemitismus der Aufklärung bis hin zu seinen aktuellen Formen, dem spezifisch deutschen Schuldabwehrantisemitismus, dem israelbezogenen Antisemitismus und dem verschwörungsideologischen Antisemitismus, aufgezeigt. Dies machte uns deutlich, dass die aktuellen Formen des Antisemitismus noch immer tief in den Denkmustern und Stereotypen ihrer historischen Vorgänger verhaftet sind. So findet sich im israelbezogenen Antisemitismus u. a. die rassistische Idee einer homogenen Gruppe von Jüdinnen und Juden wieder, die stellvertretend für die Politik des Staates Israel verantwortlich gemacht wird. Ein anderes Beispiel ist der verschwörungsideologische Antisemitismus der QAnon-Bewegung, welcher analog zur antijudaistischen Ritualmordlegende behauptet, dass eine satanische Elite Kinder gefangen halte, um sich durch ihr Blut zu verjüngen.

Die lange historische Kontinuität und die gegenwärtige Virulenz des Antisemitismus führten uns zu der Frage, welche gesellschaftlichen Faktoren die stete Wiederkehr und Erneuerung antisemitischer Ideologie befeuern. Dazu hörten wir einen Vortrag mit dem Titel „Paradoxie der Selbstbestimmung“ des Philosophen Lucas von Ramin von der TU Dresden. Demnach müssen die unvollständig eingelösten Freiheitsversprechen von Naturbeherrschung, Wohlstand und politischer Selbstbestimmung als Rahmenbedingungen des grassierenden Antisemitismus in „modernen Gesellschaften“ verstanden werden. Besonders in Krisensituationen befördern sie die massenhafte Erfahrung einer tief empfundenen Frustration und Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen, die nach Kompensation verlangt. Die Paradoxie der Selbstbestimmung liegt nun darin, dass der Versuch der Rückerlangung von Kontrolle gerade nicht durch die Erringung der vollständigen Freiheitsversprechen gesucht wird, sondern durch die Projektion des eigenen Unmuts auf Sündenböcke: auf Jüdinnen und Juden. Zwar gibt das damit einhergehende Ausleben von Hass und Gewalt – welches heute noch durch die Echokammern diverser Social-Media-Plattformen erleichtert wird – den Individuen ein Gefühl der Selbstermächtigung, in Wirklichkeit aber bewirkt es sein Gegenteil: die Stärkung autoritärer politischer Akteur*innen und die Verfestigung eines unterkomplexen Weltverständnisses. Ein Teufelskreis, dem nach Ansicht des Referenten nur durch eine konsequente und intensive demokratische Bildungsarbeit begegnet werden kann.

Wie aber kann eine demokratische Bildungsarbeit im Themenfeld aussehen? In unserer dritten und bisher letzten Weiterbildung besprachen wir diese Frage gemeinsam mit Monique Eckmann und Gottfried Kößler anhand ihres Diskussionspapiers „Pädagogische Auseinandersetzung mit modernen Formen des Antisemitismus“. Die zentrale These des Papiers lautet, „dass antisemitismuskritische Bildung in erster Linie eine Frage der Bildung und nicht (ausschließlich) eine Frage des Objekts ist und dass infolgedessen das Primat pädagogischer Grundsätze – das bedeutet im Kern die Prozessorientierung – geboten ist.“ Daher ist es zentral, durch vielfältige (sozial-)pädagogische Methoden zunächst Fragen, Zweifel und Dissonanzen zum Thema zu erzeugen und so der gesellschaftlichen Nicht-Thematisierung von Antisemitismus zu begegnen. Entscheidend ist in ihren Augen dabei weiter ein anerkennungspädagogischer Ansatz, der auch den Raum für kontroverse Äußerungen lässt. Kontroversität darf dabei jedoch nicht mit fehlender Haltung verwechselt werden: Offensichtlich antisemitische Äußerungen sind offen zu konfrontieren und die Grenzen zwischen Argumenten und Hassreden klarzustellen. Zum anderen fordern Eckmann und Kößler, dass antisemitismuskritische Bildungsarbeit ihre Perspektive reflektieren muss. Findet sie aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft statt, heißt das vor allem, jüdische Perspektiven sowie die anderer Minderheiten auf das Thema zu stärken und in die eigene Arbeit zu integrieren.

Problemanalyse und Ziele

Im Anschluss an unsere Weiterbildungen waren wir bei unseren regelmäßigen Bündnistreffen in der Lage, uns ein umfangreiches Bild über das Auftreten und die jeweiligen Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Region Dresden und Ostsachsen zu verschaffen und über Wege nachzudenken, wie diesem effektiv begegnet werden kann. Neben der Planung unserer ersten öffentlichen Veranstaltungen, der Podiumsdiskussion „Aktualität des Antisemitismus in Ostsachsen“ am 5. September 2021 in Dresden und dem „Fachtag zu jüdischer Regionalgeschichte in Ostsachsen“ am 25. November 2021 in Pirna, kamen wir zu den folgenden Ergebnissen:

Unserer Einschätzung nach ist der Antisemitismus in Ostsachen nahezu überall, in all seinen ideologischen Facetten und in Form verschiedenster Delikte anzutreffen. Er äußert sich z. B. im Zeigen eines verschwörungsideologischen Filmes in einer Berufsschule in Löbau, in der weitverbreiteten Verwendung des Wortes „Jude“ als Beleidigung, in Form der Gleichsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen und NS-Verbrechen auf Demonstrationen an der B96 in Dresden, Pirna, Bautzen, Görlitz und vielen anderen Orten oder in Sachbeschädigungen an jüdischen Kultureinrichtungen sowie Orten der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus. Er äußert sich aber auch in körperlichen Angriffen auf „Gutmenschen“, die Teil des von der Neuen Rechten kolportierten Projekts eines „Großen Austauschs“ seien, oder auf Demonstrant*innen, die während des erneuten Aufflammens des Nahostkonflikts ihre Solidarität mit Israel in der Innenstadt von Dresden zum Ausdruck brachten.

Es sind diese gewalttätigen Auswirkungen des Antisemitismus, die sowohl Jüdinnen und Juden als auch unser demokratisches Gemeinwesen zum Ziel haben, die uns als Bündnis zum Handeln verpflichten. Daher begrüßen wir es, dass in Sachsen eine Melde- und Beratungsstelle für Antisemitismus entstehen wird, und erhoffen uns von ihr ein detaillierteres Bild über die Formen und das Ausmaß des Antisemitismus. Zum anderen haben wir die Hoffnung, dass die Melde- und Beratungsstelle zu einem starken Partner der Jüdinnen und Juden in der Region wird und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Exekutive, Justiz und Gesellschaft helfen kann. Ein Anliegen, das wir nur zu gerne mit unserer Bündnisarbeit unterstützen möchten.

Die (Selbst-)Sicherheit jüdischen Lebens wird aber nicht nur, und kann auch gar nicht ausschließlich, von einem starken Staat abhängig sein. Vielmehr, und das ist das zweite Anliegen unserer Bündnisarbeit, bedarf sie einer Anerkennung und Solidarität aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Und damit sind auch wir, die nichtjüdischen Bündnispartner*innen angesprochen, von denen bisher zu wenige mit Jüdinnen und Juden im aktiven Kontakt stehen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, eine Brücke zwischen der jüdischen Community und der Zivilgesellschaft in Dresden und Ostsachsen zu schlagen und damit zu einem besseren Verständnis der spezifischen Probleme und Herausforderungen jüdischen Lebens beizutragen. Dies ist ein erster notwendiger Schritt, um die Anliegen und Bedürfnisse der jüdischen Community effektiv unterstützen zu können.

Dazu gehört unserer Meinung nach auch, dass antisemitische Vorfälle klar benannt werden und öffentliche Solidarität und politische Reaktionen zur Folge haben. Als Bündnis wollen wir unsere Kommunikationskanäle stärken, um schneller mit gemeinsamen Veröffentlichungen reagieren zu können. Dabei ist es uns wichtig, auch in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen und so die Solidarität mit der jüdischen Community auszudrücken. So wie am 24. Juni 2021 vor der Neuen Synagoge in Dresden, wo wir gemeinsam mit vielen anderen Organisationen deutlich machten, dass Jüdinnen und Juden nicht allein im Kampf gegen den Antisemitismus stehen und dass wir nicht lockerlassen, bevor Antisemitismus als Gefahr und Herausforderung der gesamten Gesellschaft anerkannt wird.

Bis das erreicht sein wird, bleibt allerdings noch viel für uns zu tun!

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Graphic Recording der Podiumsdiskussion zur „Aktualität des Antisemitismus in Ostsachsen“

Ein Rückblick auf unsere Auftaktveranstaltung in Wort und Bild

Mit 49 Teilnehmer*innen, darunter auch geladene Gäste aus Politik und Verwaltung, begingen wir am 5. September 2021 unter dem Titel „Aktualität des Antisemitismus in Ostsachsen“ die öffentliche Auftaktveranstaltung des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen (BgA-Ostsachsen).

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Die Eröffnung der Veranstaltung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden erfolgte durch Robert Kusche, Geschäftsführer des Projektträgers RAA Sachsen e.V.. In seiner Rede erklärte er zunächst den Hintergrund der Gründung des BgA-Ostsachsen. Diese sei zum einen auf die drastische Zunahme antisemitischer Straftaten in Deutschland und Sachsen zurückzuführen. Genauso sei sie aber auch Reaktion auf die neue Dimension der durch Antisemitismus motivierten Gewalt, wie sie sich z.B. in den Anschlägen von Halle und Hanau zeige. Wolle man dieser Entwicklung nicht einfach nur zusehen, brauche es breite gesellschaftliche Bündnisse, die sich entschieden an die Seite der Betroffenen stellen und neue Ansätze im Kampf gegen den Antisemitismus diskutieren und erproben. Darüber hinaus erläuterte Robert Kusche den Ansatz, die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in das Zentrum der Bündnisarbeit zu stellen. Der Kampf gegen den grassierenden Antisemitismus könne nur Erfolg haben, wenn zeitgleich auch Aufklärung über die Vielseitigkeit jüdischen Lebens betrieben werde. Sie sei eine wesentliche Voraussetzung für den Abbau von Vorurteilen und damit für eine Normalisierung jüdischen Lebens in unserer Gesellschaft.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auf die Eröffnungsrede folgten die Grußworte von Christian Avenarius, Leiter der Abteilung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Dr. Nora Goldenbogen, Präsidentin des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, sowie von Dr. Petra Follmar-Otto, Vorständin der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Während die Grußworte von Christian Avenarius und Dr. Petra Follmar-Otto die Notwendigkeit des Handelns im Angesicht einer Zunahme antisemitischer Propaganda und Gewalt unterstrichen sowie die besondere Rolle lokaler und multiperspektivischer Netzwerke im Kampf gegen das globale Problem Antisemitismus betonten, gab Dr. Nora Goldenbogen mit ihrem Grußwort einen sehr persönlichen Einblick in die aktuelle Lebenswelt der Jüdinnen und Juden in Sachsen.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Sie schilderte nicht nur, wie sie die schreckliche Nachricht vom Anschlag in Halle in einer kurzen Pause der Gemeindefeier am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur erfuhr, sondern auch welche Zäsur das Attentat für die Jüdischen Gemeinden bedeutete: „Mit Halle hat sich etwas Grundlegendes verändert. Die Gefahr ist nicht mehr abstrakt und verbal. Sie ist real und kann Leben kosten.“ Umso beunruhigter zeigte sich Dr. Nora Goldenbogen über die bundesweiten Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, die, wie schon andere Pandemien zuvor, zu einer Reaktivierung und Verbreitung längst überkommen geglaubter antisemitischer Verschwörungsmythen geführt hätten. Die Anti-Corona-Proteste seien aber auch aus einem anderen Grund nur schwer auszuhalten: So stelle die Entlehnung des Gelben Sterns durch einige der Demonstrant*innen eine unerträgliche Gleichsetzung der Pademiepolitik mit dem systematischen Massenmord des NS-Regimes dar, die verkenne, dass das Tragen des Gelben Sterns im Nationalsozialismus das Zeichen für die Freigabe zum Abschuss gewesen sei.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Nach den bewegenden Worten zur Einführung der Veranstaltung kamen schließlich einige der Mitglieder des BgA-Ostsachsen auf der Bühne des Kleinen Hauses zur Podiumsdiskussion zusammen. Neben Ekaterina Kulakova von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden waren das Anne Kleinbauer von der Netzwerkstatt der Hillerschen Villa gGmbH, Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen e.V. sowie Franziska Stölzel von der Initiative Stolpersteine für Weißwasser. Moderiert von Kathrin Krahl, Geschäftsführerin der Stiftung Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, und Anna Olbrich, Projektleiterin der Initiative Tacheles Oberlausitz, diskutierten die Podiumsgäste nicht nur, wie und wo sie Antisemitismus in den verschiedenen Regionen Ostsachsens wahrnehmen, sondern auch welche spezifischen Ansatzpunkte ihre Organisationen zur Bekämpfung des Antisemitismus verfolgen.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den Anfang der Runde machte Franziska Stölzel aus Weißwasser. In ihrem Beitrag informierte sie zunächst über die Arbeit der ehrenamtlichen Initiative, welche darin bestehe, die Verlegung von Stolpersteinen in Weißwasser zu organisieren sowie darüber hinaus die Geschichte der Weißwasseraner Jüdinnen und Juden zu erforschen und bekannt zu machen. Einen Schwerpunkt legte Franziska Stölzel auf die Tatsache, dass im bundesweiten Vergleich nur sehr wenige Stolpersteine außerhalb der Großstädte Sachsens verlegt worden seien. In ihren Augen trägt dieser Umstand zur mangelnden Sensibilität gegenüber Antisemitismus in Sachsen bei. Denn Stolpersteine könnten unter anderem vergegenwärtigen, dass der Antisemitismus nie weit weg gewesen sei und dass er auch die unmittelbaren Nachbar*innen betreffen könne.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den zweiten Podiumsbeitrag leistete Anne Kleinbauer von der Hillerschen Villa in Zittau. Nachdem sie zunächst über ihre Tätigkeit als politische Bildnerin rund um den jüdischen Friedhof in Zittau berichtete, bei der sie immer wieder auch mit geschichtsrevisionistischen bis antisemitischen Äußerungen von Jung und Alt konfrontiert werde, teilte sie mit den Gästen ein besonderes Aha-Erlebnis ihrer Arbeit. Dieses besteht in der positiven Erfahrung, dass es bei Schüler*innen, die sich mit den Biografien der im Nationalsozialismus verfolgten Jüdinnen und Juden befassen, häufig „Klick“ mache. Anne Kleinbauer führte dies auf die besondere Wirkung der Biografien zurück. Sie seien zum einen in der Lage, abstrakte Sachverhalte wie die systematische Verfolgung der Jüdinnen und Juden am Einzelfall konkret werden zu lassen. Zum anderen ließen sie aber auch einen Blick hinter dominierende Zuschreibungen zu. So könnten sie z.B. vergegenwärtigen, dass Jüdinnen und Juden nicht nur Opfer, sondern ganz normale Menschen mit individuellen Vorlieben und diversen sozialen oder politischen Netzwerken gewesen seien.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auf die Beiträge aus der Oberlausitz folgten die unserer Gesprächspartnerinnen aus Dresden. Von ihnen machte Ekaterina Kulakova von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden den Anfang. Ekaterina Kulakova beschrieb zunächst die große Hoffnung mit der sie 2005, so wie viele Jüdinnen und Juden vor und nach ihr, als Kontingentgeflüchtete aus der ehemaligen Sowjetunion nach Dresden kam. Schnell musste sie jedoch feststellen, dass der Antisemitismus auch in Deutschland nicht verschwunden war. Ein erneutes Gefühl der Fremdheit schlich sich ein. Verstärkt wurde das Gefühl durch die Erfahrung einer doppelten Diskriminierung: Da über 95 Prozent der Jüdischen Gemeindemitglieder in Dresden russischsprachig seien, stelle sich bei Anfeindungen immer wieder die Frage, ob sie aus Fremdenhass oder Antisemitismus erfolgen. Dennoch will sie nicht klein beigeben: Vor allem das Engagement der vielen jungen Menschen, die erkannt hätten, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem von Jüdinnen und Juden sei, mache ihr Hoffnung, dass es besser werde.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Auch der letzte Beitrag des Podiums von der Mitarbeiterin des Kulturbüro Sachsens e.V., Petra Schickert, machte Mut. Ausführlich informierte sie über eine Vielzahl von Initiativen im ländlichen Raum, die sie sowohl beruflich als auch privat bei der Entstehung und Entwicklung begleitete. Dass das Thema Antisemitismus besonders in den kleinen Städten bearbeitet werden müsse, habe den einfachen Grund, dass es vor allem dort wenig Berührungspunkte und viel Unwissen über das jüdische Leben gebe. Wolle man dem Antisemitismus effektiv begegnen, dürften die ländlichen Regionen, wie u.a. die Proteste an der B96 bewiesen, nicht vergessen werden.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete schließlich ein Interview mit dem Sächsischen Landesbeauftragten für das Jüdische Leben, Dr. Thomas Feist. Auf die Frage, was er aus der Veranstaltung mitnehme, erwiderte Dr. Feist, dass es sowohl einer materiellen als auch ideellen Besserstellung des Engagements gegen Antisemitismus bedürfe. Ein Mittel dafür könne z.B. die Stiftung eines jährlichen Preises sein, der die zahlreichen Aktivitäten für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens und den Kampf gegen Antisemitismus einer breiten Öffentlichkeit bekannt mache. Und auch einen symbolischen Schirmherrn hatte Dr. Feist bereits im Hinterkopf: So wüssten noch zu wenige, dass der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Georg Gradnauer, der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie gewesen sei.

Wir begrüßen die Pläne des Landesbeauftragten und werden ihre Entwicklung aufmerksam verfolgen. Darüber hinaus geht unser Dank an alle Redner*innen, Organisator*innen und Unterstützer*innen der Auftaktveranstaltung. Nur durch ihre Mitwirkung wurde sie zu einem vollen Erfolg.

Julia Kluge (www.kluugel.de) / © RAA Sachsen e.V.

Rückblick: Online-Fachtag zu jüdischer Regionalgeschichte in Ostsachsen

Im Rahmen des Festjahres „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ organisierte das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen den Fachtag „Normalität jüdischen Lebens!?: Fachtag zu jüdischer Regionalgeschichte in Ostsachsen“.

Obwohl die Veranstaltung aufgrund der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen kurzfristig in den digitalen Raum verlegt wurde, kamen am 25.11.2021 inkl. der Referent*innen und Organisator*innen 31 Personen zum Fachtag zusammen.

Den Auftakt der Veranstaltung bildete ein Vortrag der Historikerin Gunda Ulbricht vom HATiKVA e.V.. Unter dem Titel „Wozu jüdische Geschichte?“ stellte dieser zunächst verschiedene Zugänge zur jüdischen Geschichte dar. So könne jüdischer Geschichte z.B. als „Minderheitengeschichte“ oder als „Fallstudie“ für allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen nachgegangen werden. Ebenso könne sie aber auch als Beitrag zur „Gedenkkultur“ und „Gegenwartsbewältigung“ betrieben werden. Das Gemeinsame an den Zugängen: Immer bewege sich die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte in einem Spannungsfeld zwischen „Integration“ und „Vereinnahmung“, weswegen besonders auf die folgenden Aspekte geachtet werden müsse:

  1. Forschungs- und Bildungsarbeit zu jüdischer Geschichte sollte „vorschnelle Verallgemeinerungen vermeiden“ bzw. eine „Balance zwischen Besonderem und Allgemeinem“ herstellen. Ein Anfang dazu wäre bereits gemacht, wenn sie Ihren Gegenstand reflektieren und sich fragen würde, wer warum als Protagonist*in jüdischer Geschichte behandelt werde.

  2. Die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte sollte darauf zielen, „wirkliche und geistige Räume“ jüdischer Vergangenheit und Gegenwart zurückzugewinnen. Da die Forschung zur jüdischen Geschichte noch immer vorrangig aus Perspektive der Mehrheitsgesellschaft und unter Marginalisierung jüdischer Perspektiven betrieben werde, komme diesem Punkt ein besonderes Gewicht zu.

  3. Um den bereits genannten Punkten gerecht zu werden, müsse Forschungs- und Bildungsarbeit zur jüdischen Geschichte schließlich auf ihre Verbindung achtgeben und die jeweiligen Entwicklungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Publizistik aufmerksam verfolgen und in ihre Arbeit einbeziehen.

Auf den Vortrag von Gunda Ulbricht folgte die Workshopphase des Fachtages. In dieser hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, einen der beiden regionalspezifischen Workshops zu besuchen. Während sich der Workshop des AKuBiZ e.V. dem Thema „Digitale Hilfsmittel zur Vermittlung jüdischer Geschichte im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge“ widmete, behandelte der Workshop der Netzwerkstatt der Hillerschen Villa gGmbH das Thema „Jüdische Geschichte im Dreiländereck – digital und vor Ort“.

Der Aufbau beider Workshops war eng aufeinander abgestimmt. In einem ersten Schritt wurden relevante Projekte des AKuBiZ e.V. und der Netzwerkstatt vorgestellt sowie die Wege zu ihrer Umsetzung erläutert. Darauf aufbauend hatten die Teilnehmer*innen in einem zweiten Schritt die Möglichkeit, einen tieferen Einblick in die Angebote zu erlangen und gemeinsam zu diskutieren, ob die Projekte für eine pädagogische Tätigkeit geeignet sind bzw. welche Erweiterungen oder Veränderungen es dafür benötigen würde. Bei den vorgestellten Projekten des AKuBiZ e.V. handelte es sich um die Website gedenkplaetze.info – eine digitale Karte zur Dokumentation von Orten des Nationalsozialismus und der Biografien von Verfolgten – sowie um einen derzeit in der Umsetzung befindlichen Audiowalk durch Sebnitz, der aus Perspektive der als Jüdin verfolgten Frieda Hänsel Einblicke in die Lebensrealität im Nationalsozialismus gibt. Im Mittelpunkt des Workshops der Netzwerkstatt standen wiederum die „Digitale Karte zum jüdischen Leben in Zittau und Liberec (CZ)“ (noch in der Tesphase) sowie ein virtueller Rundgang über den jüdischen Friedhof Zittau, der im Rahmen eines internationalen Bildungsprojektes zur Erschließung des jüdischen Erbes von Zittau mit dem Namen „MAZEWA“ entstand.

In einer kurzen Abschlussrunde hatten die Workshopleiter*innen schlussendlich die Möglichkeit, zentrale Erkenntnisse des Fachtages zusammenzufassen. Das Ergebnis: Vor allem für die digitalen Angebote wären eine Erweiterung hin zu mehr Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten sowie Konzepte zu ihrer Nutzung in der analogen Arbeit erstrebenswert. Darüber hinaus müsse in der Bildungsarbeit immer eine genaue Analyse der angestrebten Zielgruppe betrieben werden sowie eine darauf angepasste Aufarbeitung und Vermittlung der Inhalte.

Neben allen Referent*innen gilt unser herzlicher Dank der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen und dem Netzwerk Dresden für alle. Nur durch die unkomplizierte Förderung unseres Vorhabens konnte der Fachtag zu einem vollen Erflog werden.