Eintrag 22. Januar 2018

19. Januar 2018: 67. Verhandlungstag

Drei Plädoyers stehen heute auf dem Programm: Zwei Nebenklägerinnen des attackierten Hausprojekts Mangelwirtschaft ergreifen selbst das Wort, anschließend hält ihr anwaltlicher Vertreter sein Plädoyer und schließt sich den juristischen Ausführungen der Bundesanwaltschaft an.

Eine Nebenklägerin aus dem angegriffenen Hausprojekt Mangelwirtschaft beginnt mit ihrem Plädoyer. Sie erklärt, dass sich die Angeklagten daran beteiligt hätten, eine »pogromartige Stimmung gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen« zu schaffen. Dass diese Stimmung in Dresden und Umland entstanden ist, sei »kein Zufall«. Die Nebenklägerin verweist auf die Pegida-Demonstrationen, denen »statt mit entschiedenem Widerspruch, vor allem mit der Sorge um das städtische Image« begegnet worden sei. Auch die sächsische Landesregierung habe ihren Anteil an »der Verankerung eines rechten Klimas«. Immer wieder sei betont worden, man müsse »Sorgen und Ängste« ernstnehmen.

Die Nebenklägerin kritisiert auch die Polizei. Es sei unverständlich, dass ausgerechnet Spezialisten des Operativen Abwehrzentrums Probleme dabei haben, die rechte Tatmotivation zu erkennen, »selbst wenn es offensichtlich ist«. Auch die »direkten Verbindungen« zwischen drei Polizisten und den Angeklagten ließen vermuten, dass die sächsische Polizei ein »Rechtsextremismusproblem« habe.

Zu den Angeklagten äußert die Nebenklägerin, dass sie bei ihnen keine Auseinandersetzung mit ihren »faschistischen Überzeugungen« feststellen könne. Das zeige sich besonders, wenn die Angeklagten ihre rechte Tatmotivation leugnen. Eine glaubwürdige Distanzierung sei nicht zu erkennen, wenig glaubhaft seien auch die Reuebekundungen. Für sie sei klar, dass es bei dem Angriff auf das Hausprojekt »zu nachtschlafener Zeit« darum gegangen sei, »Leute zu verletzen«. Die Nebenklägerin hält es nur für Zufall, dass lediglich eine Person leichtverletzt worden sei.

Sie schließt mit einem Appell zur Solidarität mit Geflüchteten und betont, dass »rechter Propaganda« widersprochen werden müsse, »sonst breitet sie sich leichter aus«. Für die Bewohner_innen des Hausprojekts macht sie deutlich: »Wir lassen uns nicht einschüchtern.«

Dann folgt das Plädoyer der zweiten Nebenklägerin. Sie weist daraufhin, dass die Angeklagten regelmäßig an rechten Kundgebungen in Dresden und im Umland teilgenommen hätten. Unklar bleibe in den Augen der Nebenklägerin die Rolle der Angeklagten »bei weiteren Angriffen«. Ihre Taten seien ein Beitrag zur »Diskursverschiebung nach rechts« gewesen. Die gesellschaftliche Reaktion beschränke sich jedoch auf diesen Prozess, ansonsten »passiere in Sachsen nicht viel«. Klar sei aber, dass der Prozess nicht genug sei.

Die Nebenklägerin kritisiert auch das Gericht, das »die gesamte Tragweite nicht zu berücksichtigen« scheint. Es habe seinen Spielraum nicht ausgenutzt. Im Hinblick auf den Angriff auf die Mangelwirtschaft, sei die Rolle der Turnhallenblockade nur unzureichend aufgeklärt worden, ebenso die Rolle der Organisatoren der Blockade. »Unzureichend beleuchtet« worden, sei außerdem die Rolle der Polizisten, die im Verdacht standen, Dienstgeheimnisse mit den Angeklagten ausgetauscht zu haben.

Die Angeklagten seien für einen hohen Anteil rassistischer Gewalt in und um Freital verantwortlich. Sie widerspricht der Aussage des Freitaler Bürgermeisters Uwe Rumberg, es sei »eine Handvoll vielleicht«, die für die Taten verantwortlich sind. Allein in den Chatgruppen waren deutlich mehr Personen aktiv. An den rassistischen Demonstrationen hätten dann zum Teil »hunderte« Menschen teilgenommen. Noch mehr hätten sich »insgeheim gefreut«, dass Freital kein Ort gewesen sei, an dem Geflüchtete in Frieden leben können. Dahingegen hätten alle »unseren Respekt«, die sich in Freital für Asylsuchende engagieren, so die Nebenklägerin.

Nach einer kurzen Pause folgt dann das Plädoyer des Nebenklagevertreters RA Nießing. Er verweist auf eine Vielzahl von rassistischen Äußerungen und Mordfantasien der Angeklagten. In ihren Augen sollen das lediglich »Worte von Asylkritik« sein. Nießing verweist stattdessen auf das gerade gewählte Unwort des Jahres: Es handele sich bei so einer Einschätzung um »alternative Fakten«.

Der Nebenklageanwalt bedankt sich bei Menschen, wie Michael Richter, Ines Kummer und Steffi Brachtl, die in Freital dennoch Flüchtlinge unterstützt haben und damit selbst zum Ziel von Angriffen wurden. Das sei nicht selbstverständlich, wie eine beiläufige Äußerung eines Zeugen im Prozess gezeigt habe: »Wer Sturm säht, wird Sturm ernten«, äußerte ein Nachbar von Michael Richter vor Gericht. Als ob es das »Normalste« sei, dass man jemanden, der Flüchtlinge unterstützt, das Auto sprengt.

Zum Tatkomplex Overbeckstraße »will ich gar nicht viel sagen«, so Nießing weiter. Hier teile er das von der Bundesanwaltschaft Gesagte »nahezu in Gänze«. Insgesamt seien die Taten der Gruppe Freital »natürlich keine Taten des NSU oder der RAF«. Wie aber bezeichnet man die Gruppe Freital, fragt der Anwalt und verweist auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt, die 2004 im Hinblick auf rechte Straftaten von »Feierabendterrorismus« gesprochen hätten.

Nießing geht auch darauf ein, warum sich die Nebenklage Mangelwirtschaft nicht einem Antrag angeschlossen hat, der das Gericht aufforderte den Angeklagten eine rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass beim Angriff auf das Hausprojekt auch eine Verurteilung als versuchter Mord in Frage komme. »Wir gehen davon aus, dass das Gericht eine sachgerechte Entscheidung trifft«, so der Anwalt und weiter: »Uns geht es nicht um eine hohe Strafe«. Vielmehr sollten die Angeklagten ihr Weltbild korrigieren. Außerdem, so der Anwalt nicht näher begründend, sei es nicht angebracht, die Bundesanwaltschaft »rechts zu überholen«.

Zum Vorwurf der fehlenden Kooperationsbereitschaft gegen die Nebenklage Mangelwirtschaft, verweist der Anwalt auf die Kooperation der Hausbewohner nach dem Angriff. Fragwürdig sei vielmehr das Agieren der Polizei, die lediglich wegen Sachbeschädigung ermittelt habe: Das sei keine vertrauensbildende Maßnahme. Auch dem von den Nebenkläger_innen geforderten Schutz ihrer Identität sei nicht nachgekommen worden, während ein Tatbeteiligter als Zeuge zunächst eine Vertraulichkeitszusage erhalten habe. Überdies sei die Nebenklage nicht »auf Strafverfolgung festgelegt«. Im Hinblick auf die Weigerung einer Nebenklägerin vor Gericht die Namen ihrer Mitbewohner_innen zu benennen, erklärt der Anwalt, dass diese Namen nicht relevant gewesen wären. Außerdem sei die deutlich gemachte Nicht-Aussage nicht mit einer Falschaussage gleichzusetzen. Falschaussagen habe es hingegen von den Zeugen Niels A. und Alina T. gegeben. Sie hätten zuerst gesagt, sie wollen zu bestimmten Themen nichts sagen und hätten dann im Anschluss behauptet, sie könnten sich nicht mehr erinnern. Problematisiert worden sei allein das Verhalten der Nebenklägerin.

Der Nebenklagevertreter verweist in seinem Plädoyer nochmals auf die Aussage des LfV-Präsidenten Meyer-Plath. Mit dem Verweis auf den »V-Mann Kaiser« erklärt Nießing, dass er den Eindruck gehabt habe, dass »nicht sein kann, was nicht sein darf.« Dann thematisiert er kurz die einzelnen Angeklagten, zu Maria K. führt er aus, dass von der Verteidigung Entschuldigungen angekündigt worden seien, die dann nie realisiert wurden.

Zum Abschluss seines gut dreiviertelstündigen Plädoyers macht der Nebenklageanwalt deutlich, dass seine Mandant_innen und das Hausprojekt weitermachen werden. Er hoffe außerdem, dass der Senat tatsächlich der »gesetzliche Richter« für die Angeklagten sei und nimmt damit Bezug auf eine Besetzungsrüge der Verteidigung am ersten Prozesstag. Würde der stattgegeben, hätte man es mit einem »Staatsversagen« zu tun.

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