Zusammenfassung Teil 1

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Am 7. März 2017 startete am Oberlandesgericht in Dresden der Prozess gegen die sogenannte Gruppe Freital. Seither fanden 34 Verhandlungstage statt, insgesamt 55 Zeug*innen wurden gehört. Hier lesen Sie unsere erste Zusammenfassung.

Zusammenfassung Teil 1

Darunter waren

  • zwölf Betroffene der Sprengstoffanschläge,

  • Nachbar*innen,

  • weitere Beschuldigte, die die Aussage zumeist verweigerten,

  • eine Staatsanwältin, die mit den Ermittlungen zu den Anschlägen in Freital betraut war,

  • ein Richter, der Hausdurchsuchungen anordnete und Beschuldigte vernommen hatte,

  • zahlreiche Polizist*innen vom Revier Freital bis zum Bundeskriminalamt, die zuerst an den Tatorten waren, Spuren sicherten, Auswertungen, Hausdurchsuchungen, Vernehmungen oder Observationen der Angeklagten durchgeführt hatten.

Auch Sachverständige zu Sprengmitteln und möglichen Verletzungen sagten bereits aus. Zwei der Angeklagten, Justin S. und Patrick F., ließen sich vor Gericht zu den vorgeworfenen Taten ein.

Den insgesamt acht Angeklagten zwischen 19 und 38 Jahren wird zur Last gelegt, spätestens im Juni 2015 eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet zu haben, die durch die Planung und Durchführung von Sprengstoffanschlägen sowie Überfällen „ein Klima der Angst und Repression“ gegen Geflüchtete, sowie deren Unterstützer*innen erzeugen wollte. Es ist der erste Prozess dieser Art in Sachsen. Im Falle einer Verurteilung erwarten die Angeklagten mehrjährige Haftstrafen. Dementsprechend verwunderte auch das große mediale Interesse nicht, das zu Prozessbeginn herrschte. Dass dieser Prozess kein gewöhnlicher ist, ließ sich bereits am Eingang des Gerichtes feststellen: Alle Besucher*innen mussten sich strengen Einlasskontrollen, ähnlich wie an einem Flughafen, unterziehen. Im Gerichtsgebäude selbst befinden sich die Zuschauer*innen hinter einer Panzerglasscheibe abgetrennt vom eigentlichen Gerichtssaal. Da die Berichterstattung hauptsächlich in deutscher Sprache erfolgt, möchten wir im Folgenden einen Zwischenstand zum Prozess notieren, welcher in verschiedenen Sprachen erscheinen wird.

Zusammenfassung:

  • 7 Männer und 1 Frau werden für mind. fünf Anschläge in Freital und Dresden verantwortlich gemacht. (Angeklagt als terroristische Vereinigung nach §129a StGB).

  • Die rechte Gesinnung der Angeklagten wird durch eigene Aussagen sowie Fundstücken bei Hausdurchsuchungen (es wurden Hakenkreuzfahnen, szenetypische Marken, CDs und eindeutige Aufkleber festgestellt) deutlich.

  • Zwei der Beschuldigten bestätigen die zentralen Anklagepunkte der Anklage in ihren Einlassungen vor Gericht. Diese Aussagen sowie zwei Gutachten unterstrichen noch einmal die potentiell tödliche Kraft der verwendeten Sprengsätze.

  • Die Auswirkungen der Taten auf die Verfasstheit der Betroffenen war und ist massiv. Die Zeugen berichten von Rückzug aus der Öffentlichkeit, starken Ängsten sowie den Wunsch aus Freital wegzuziehen.

  • Laut Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden gab klar erkennbare Aufgabenverteilungen bei Planung, Vorbereitung und Tatbegehung. Nach Aussagen von Polizeizeugen wurden dennoch kein Strukturermittlungsverfahren durch die Generalstaatsanwaltschaft eingeleitet.

Die Anklage

Sieben Männer und eine Frau werden beschuldigt, gemeinsam eine terroristische Vereinigung (§129a StGB) gegründet zu haben, welche für mindestens fünf Anschläge in Freital und Dresden verantwortlich gewesen sein soll. Gezielt sollen die Angeklagten dabei Menschen angegriffen haben, die nicht in ihr rechtes Weltbild passten, vor allem Geflüchtete und politische Gegner*innen. Zwei von ihnen sollen dabei die Drahtzieher gewesen sein. Bei sieben der Angeklagten geht es zudem um versuchten Mord in vier Fällen; die achte Person soll hierzu Beihilfe geleistet haben. Weiterhin wird den Angeklagten gefährliche Körperverletzung, versuchte gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie unterschiedlich Sachbeschädigungen zur Last gelegt. Dass bei den Anschlägen illegale Sprengkörper zum Einsatz kamen, zeigt, dass es den Angeklagten um möglichst großen Schaden und schwere Verletzungen gegangen sein muss.

Die Anschläge der „Gruppe Freital“

27.07.2015, Freital: Das Auto eines Stadtrats, der sich für Asylsuchende einsetzt, wurde durch eine heftige Explosion schwer beschädigt. Angeklagt wegen Sachbeschädigung.

19.09.2015, Bahnhofstraße: Kurz vor Mitternacht wurde Pyrotechnik am Fenster einer Wohnung angebracht, in der Asylsuchende leben. Die Explosion zerstörte Fenster und Rahmen sowie Einrichtungsgegenstände. Angeklagt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung.

20.09.2015: In den frühen Morgenstunden wurde am Schaufenster des Büros der Partei „Die Linke“ Pyrotechnik angebracht. Die Explosion zerstörte das Fenster und beschädigte Fensterrahmung und Mauerwerk. Angeklagt wegen Sachbeschädigung.

19.10.2015, Overbeckstraße: In der Nacht attackierte eine vermummte Gruppe ein Wohnprojekt in Dresden mit Steinen, Pyrotechnik und Buttersäure. Angeklagt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung.

01.11.2015, Wilsdruffer Straße: In der Nacht wurden drei Sprengsätze an den Fensterneiner Wohnung, in der Flüchtlinge untergebracht sind, zur Detonation gebracht. Ein 26-jähriger Bewohner wurde von Glasscheiben im Gesicht getroffen und verletzt. Angeklagt wegen vierfachen versuchten Mordes, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung.

Die Betroffenen

Die Angeklagten sollen sich ihre Anschlagsziele bewusst nach ihrer rechten und rassistischen Gesinnung ausgesucht haben. Sichtbar wird das Motiv bereits bei einem Blick auf die fünf angeklagten Straftaten: Betroffen waren Menschen aus Syrien und Eritrea, sowie Politiker*innen der Linkspartei und ein linkes Wohnprojekt. Die Betroffenen haben deutlich gemacht, warum sie ihrer Ansicht nach Opfer dieser Anschläge wurden. Sie berichteten vom rassistischen Klima in dieser Zeit in Freital, von Demonstrationen und Anfeindungen. Ein Betroffener aus der Bahnhofstraße erzählt, dass sie bereits vor dem Anschlag »ständig beschimpft« worden seien. »Wir wussten, dass die Leute gegen uns waren.« Ein Anderer berichtete davon, dass sie des Öfteren beschimpft und bespuckt worden. Auch die Geschädigten der Wilsdruffer Straße schilderten böse Blicke, Beschimpfungen und Flaschenwürfe. Die Bewohner*innen des Wohnprojekts Mangelwirtschaft erzählten von Situationen vor dem Angriff, in denen sich mehrere schwarz gekleidete Personen vor dem Haus versammelt hätten, um zu provozieren, sie seien eindeutig »nicht friedlich« gesinnt gewesen.

Michael Richter, Stadtrat für die Partei „Die Linke“ in Freital, berichtete am zehnten Verhandlungstag über den Anschlag auf sein Auto (10. Verhandlungstag). In der Tatnacht sei er durch einen sehr lauten Knall aufgewacht und habe aus seinem Auto eine »tiefschwarze Wolke« austreten sehen. Er schilderte, dass er zuvor auf Facebook von der »rechten Szene« bedroht worden sei. Da hieß es, er solle an die Wand gestellt, erschossen oder gesteinigt werden; auch auf der Straße gab es Anfeindungen. Der Anschlag und die Drohungen hätten dazu geführt, dass er seinen Tagesablauf »dramatisch umgestellt« habe, jeden Morgen einen anderen Weg zur Arbeit gehe und das auch nie zur selben Zeit. Er versuche auch an den Wochenenden nicht in Freital zu sein. Nach dem Anschlag hätten sich die Beleidigungen fortgesetzt. Insbesondere sei das von ihm genutzte Parteibüro zum Ziel von Attacken geworden. Am ehemaligen REAL-Markt sei die Parole »Richter raus« gesprüht worden. Sein Briefkasten sei kurze Zeit nach dem Anschlag mit Bauschaum zugesprüht worden. Immer wieder hätten Unbekannte dort NPD-, Anti-Asyl- und selbst gestaltete Sticker hinterlassen. Darauf habe etwa gestanden: »Richter, wir kriegen dich...« Auf die Anmeldung von Demonstrationen habe er verzichtet, auch sein politisches Umfeld sei eingeschüchtert gewesen und habe sich zurückgezogen. Im November 2015 sei es dann »relativ still« geworden. Die Verhaftungen habe er als »Erleichterung« empfunden. Es habe noch Anti-Asyl-Graffiti gegeben, aber keine Anfeindungen mehr gegen ihn als Person selbst. Heute nutze er das Parteibüro nicht mehr.

Vier junge Eritreer, die in der Bahnhofstraße gewohnt hatten, berichteten von einem lauten Knall in der Nacht zum 20. September (13. Verhandlungstag).Sie seien davon aufgewacht, hätten Splitter und Putz gesehen, sowohl in der Küche als auch im Flur, aber auch im Türbereich der Zimmer. Eine Zimmertür sei durch die Wucht der Explosion geöffnet worden. In der Küche seien das Fenster zerstört worden, die Lampe sei kaputtgegangen, Herd, Kühlschrank und Küchenschränke hätten offen gestanden und ein Stuhl sei umgekippt gewesen. Auch ein Loch in der Wand über der Küchentür wurde festgestellt, das vermutlich durch einen Splitter verursacht wurde. Alle vier berichteten davon, große Angst gehabt zu haben, geschockt gewesen zu sein, einer habe vor Angst gezittert. Die Betroffenen berichteten von weiteren Angriffen auf sie und ihre Wohnung. Einmal habe jemand geklingelt und Pfefferspray in den Wohnungsflur gesprüht. Bei einer weiteren Attacke sei eines Morgens gegen 5 Uhr das Fenster eines Zimmers mit Steinen beworfen worden. Auch eine Explosion habe es schon einmal gegeben, etwa drei Wochen vor dem Anschlag im September (25. Verhandlungstag). In der Nähe des Fensters sei ein Sprengkörper explodiert, wodurch Rauch und Papierschnipsel eingedrungen seien. Draußen unter dem Fenster habe außerdem ein Kartonstück gelegen. Die Polizei sei bei diesem Vorfall aber nicht gekommen. Leute hätten »Fuck« gesagt, wenn sie die jungen Männer aus Eritrea auf der Straße sahen. Auch im Haus selbst seien sie »ständig beschimpft« worden. Es habe Ärger mit einer Person gegeben, die über ihnen wohnte. Diese habe sie auch aus dem Fenster heraus bespuckt. »Ich war immer vorsichtig«, berichtete einer; sobald es möglich war, sei er aus Freital weggezogen.

Die vier syrischen Betroffenen des Anschlags in der Wilsdruffer Straße berichteten von drei Explosionen, von Glassplittern, zerstörten Fenstern und von den Folgen des Anschlags (18. Verhandlungstag). Einer sei am Auge verletzt worden, (19. Verhandlungstag)einer habe im Nachgang Probleme mit Ohren und Augen gehabt, alle seien bis heute psychisch belastet und hätten Angst. Einer berichtete, dass auch sein kleines Zimmer betroffen gewesen sei und stellte fest: »Wäre ich dort gewesen, wäre ich tot.« Nervlich sei er »kaputt« gewesen, so der Zeuge. Er habe nicht mehr stehen können, weswegen er auch in ein Krankenhaus gebracht worden sei. Der Zeuge berichtete auch von einer blutigen Verletzung an seinem rechten Bein. Das Krankenhaus habe diese aber nicht bestätigen können, erklärt dazu seine Nebenklagevertreterin. Die Schmerzen hätten wohl psychosomatische Gründe. Alle vier haben sich nach ihrer Anerkennung als Flüchtlinge sofort bemüht, Freital verlassen zu können. Nach ihrer Aussage im Gericht wendeten sie sich mit einer Frage an die Angeklagten: »Warum haben Sie das gemacht? Was haben wir falsch gemacht?« Sie seien vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet, sie hätten gehofft, hier in Frieden leben zu können. Justin S. entschuldigte sich bei den Betroffenen, die Taten seien durch nichts zu rechtfertigen, er schäme sich dafür und sei »naiv« gewesen. Auch Patrick F. entschuldigte sich. Auf die vielfach gestellte Frage des "Warum" antwortete er: »Das lässt sich im Nachhinein nicht erklären.«

Drei Bewohner*innen der „Mangelwirtschaft“ in der Overbeckstraße in Dresden berichteten vom Angriff auf das alternative Hausprojekt. Die ersten zwei Verhandlungstage zu diesem Thema verliefen turbulent (21. Verhandlungstag). Es gab heftige juristische Auseinandersetzungen und letztlich die Verhängung eines Ordnungsgeldes, da die erste Zeugin Angaben zu weiteren Personen, die sich im Haus aufgehalten haben, verweigerte (22. Verhandlungstag). Nach weiteren zwei Prozesstagen setzte sich dann ein Bild des Angriffs im Oktober 2015 zusammen (23. Verhandlungstag).Bereits einen Monat zuvor sollte in einer Turnhalle im Dresdner Stadtteil Übigau eine Notunterkunft für Geflüchtete eingerichtet werden, was jedoch Proteste von Anwohner*innen auslöste. Diese hätten die Zufahrt zur Turnhalle blockiert, gleichzeitig habe sich die Stimmung im Stadtteil »massiv« geändert. Anlässlich der rassistischen Blockade, habe sich eine Initiative »Willkommen in Übigau« gegründet, an der auch Leute des Hausprojekts beteiligt waren. Deshalb habe sich die Stimmung auch gegen das Haus gerichtet. Die Zeug*innen berichteten von aggressivem Auftreten, von Personen, die »Streife« gelaufen seien und das Haus fotografiert hätten, von schwarz gekleideten Personen, die vor dem Haus provozierten, auch das Grundstück sei betreten und der Briefkasten abgetreten worden. Die Zeug*innen rechneten diese Personen der rechten Szene zu.

Zum Anschlag berichteten sie, dass kurz vor Mitternacht eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Personen auf der Straße wahrzunehmen war. Die habe sich »schnell gehend« auf das Haus zu bewegt und sich davor »aufgebaut«, zwei Personen hätten »zielstrebig« den Gartenzaun angesteuertund eine Zaunlatte herausgerissen. Es folgten sehr laute Knallgeräusche. Ein Zeuge berichtet, wie er einen Gegenstand mit brennender Lunte durch das Fenster fliegen sah, der nach einem kurzen Moment explodiert sei. Er habe auch das Klirren einer zerbrochenen Scheibe gehört, Fensterscherben und einen etwa faustgroßen Stein auf dem Fußboden gesehen. Es sei durch die eingesetzten Sprengkörper »super nebelig« und sehr laut gewesen, eine Zeugin habe außerdem Funken herumfliegen sehen (24. Verhandlungstag). Der dominante Eindruck des Angriffs sei der extreme Lärm der Explosionen gewesen, auch Blitze und Rauch haben die Zeug*innen wahrgenommen. Die Bewohner*innen hätten die Hauseingangstür während des Angriffs mit einem großen Balken von innen verriegelt. Nachdem die Explosionen nachließen, hätten sie die Tür geöffnet und seien in den Hof gegangen. Ein Fahrrad war zerstört, Fensterscheiben zerbrochen, es lagen Reste der Pyrotechnik herum und eine Flasche mit Buttersäure, an der noch ein sehr großer Sprengkörper mit Klebeband befestigt war. Am Gartentor waren die Scharniere herausgebrochen. Vor der Haustür habe es stark gestunken, der Geruch habe sich über mehrere Wochen gehalten und sich auch nicht »wegputzen« lassen. Im Haus gab es zudem Beschädigungen an einem Kachelofen. Ein Zeuge erlitt ein Pfeifen im Ohr. Die Zeug*innen berichteten, dass sie den Angriff als sehr gefährlich empfanden, was bis heute nachwirke. Dennoch wollen sie ihrEngagement für Flüchtlinge nicht einstellen.

Die Einlassungen der Angeklagten

Bereits im Ermittlungsverfahren machten alle Angeklagten Aussagen bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter. Vor Gericht haben sich bisher Justin S. und Patrick F. geäußert.

Am zweiten Verhandlungstag äußerte sich der jüngste Angeklagte, Justin S., zu den vorgeworfenen Taten (2. Verhandlungstag). Die Mitangeklagten belastete er dabei erheblich. In seiner gut fünfstündigen Aussage berichtete Justin S., dass er im Frühjahr 2015 »ab und zu« an Demonstrationen gegen Asylsuchende teilgenommen habe. Die dort vertretenen Auffassungen teile er. Er habe sich dann regelmäßig mit den anderen Angeklagten an der Aral-Tankstelle oder in verschiedenen Freitaler Bars getroffen. Dort hätte man sich auch über Politik unterhalten; die Stimmung, so Justin S., sei »rechts angehaucht gewesen«. Es sei gesagt worden, dass Asylsuchende »hier nichts zu suchen« hätten. Linke seien ein weiteres Feindbild der Gruppierung gewesen. Der Angeklagte S. bestätigte mit seiner Aussage alle angeklagten Straftaten. Er sagte, dass die Stimmung »durch die Demos aufgeheizt« gewesen sei. Mit dem Anschlag auf den PKW von Michael Richter sei es dann losgegangen, der Anschlag sei in der Gruppe mit Freude aufgefasst worden. Er berichtete auch von den Anschlägen Bahnhofstraße, Overbeckstraße und Wilsdruffer Straße. Er gab an, wie diese geplant und durchgeführt wurden und wer sich daran in welcher Weise beteiligte. Justin S. räumte dabei ein, dass ihm bereits vor den Anschlägen bewusst war, „wie sehr gefährlich, ja tödlich“ die dabei verwendeten Sprengsätze waren. Er berichtete über die Sprengversuche der Gruppe, die durchgeführt wurden, um herauszubekommen, welchen Schaden die Sprengkörper anrichten können. Er berichtete auch von weiteren Angriffen: ein Steinwurf auf die Geflüchteten-Unterkunft im Hotel Leonardo durch Timo S. und Philipp W. und ein Angriff auf einen Linken in Dresden Laubegast, bei dem auch ein Mobiltelefon geraubt worden sein soll, um dieses auszulesen. Justin S. beschreibt auch die Rollenverteilung in der Gruppe so, dass Timo S. und Patrick F. »höhergestellt« gewesen seien. Alle anderen seien auf »gleicher Ebene« gewesen. Zur Kommunikation der Gruppe erklärte Justin S., dass es unterschiedliche Chaträume gegeben habe. Der kleinste Kreis sei im sogenannten »schwarzen Chat« zusammengekommen, er umfasste die Angeklagten, aber auch noch weitere Personen. Ein weiterer Chatraum hieß »Laber-Chat«, in dem seien ca. 40 Personen gewesen und dort sei über »allgemeine Sachen« gesprochen wurden.

Der Angeklagte Patrick F. äußerte sich am 14. Verhandlungstag, 15. Verhandlungstag und 31. Verhandlungstag zu den Anschuldigungen. Er schilderte, dass er mindestens zwei der weiteren Angeklagten am 25. Juni 2015 vor dem Hotel Leonardo in Freital kennengelernt habe. Dort habe er sich seine eigene Meinung bilden wollen und »Anschluss« gesucht. Mit Timo S. habe er sich »gut verstanden«. Die Gruppe hätte sich regelmäßig an der Aral-Tankstelle in Freital getroffen, die ein »zentraler Anlaufpunkt« gewesen sei. Dort habe man über Politik und Asylbewerber »diskutiert« und sei »immer mehr« ins Gespräch gekommen. Auch Patrick F. berichtete zu allen vorgeworfenen Straftaten. Für das Fahrzeug des Linken-Stadtrates füllte er eine PET-Flasche mit Schwarzpulver und Kieselsteinen, »um das Ganze zu verstärken«. Rückblickend schätzte der Angeklagte ein, dass er mit der Tat »in der Gruppe angekommen« sei. Den Anschlag Bahnhofstraße will er allein begangen haben und führt als Anlass ein vermeintliches Drogengeschäft an, das er am Tatabend beobachtet haben will. Eine Person hätte er dabei »erkannt« und vermutet, dass diese sich in der Bahnhofstraße aufhalte. Da er nun »wütend« gewesen sei, habe er »absolut unvorbereitet« einen Cobra-Sprengkörper aus der Seitenablage seines Fahrzeuges genommen. Er räumte auch einen zweiten Anschlag an diesem Ort ein. Bereits ein bis zwei Monate zuvor habe er vor der Wohnung eine Kugelbombe gezündet, da man diese testen wollte und weil dort »Asylanten« gewohnt hätten. Zum Anschlagauf das Linken-Parteibüro berichtete er, dass er »den Böller« präpariert und bereitgestellt sowie den Fahrer »gespielt« habe. Im Zusammenhang mit dem Parteibüro seien auch Rohrbomben thematisiert worden, um das »Zerstören von Innenräumen effektiver zu gestalten«. Zum Anschlag Overbeckstraße berichtete Patrick F. wie sie schon früh von den Teilnehmenden des »Protestcamps« in Übigau auf das Wohnprojekt hingewiesen worden seien. Gemeinsam mit der Freien Kameradschaft Dresden (FKD), mit der es enge Verbindungen gab, hätte man schon im Vorfeld an dem Haus provoziert. Zum Tattag schilderte er die Absprachen, das Ausspähen, seine Planungen des Anschlags und den genauen Ablauf. Auch zum Anschlag Wilsdruffer Straße berichtete Patrick F. von den Vorbereitungen, Planungen und der Durchführung. Die von Asylsuchenden genutzte Wohnung sei ihm bei einer Fahrt mit Philipp W. in der Linie F aufgefallen und schon Tage vorher im Chat mit den Worten »Codewort Bombastus« und »Codewort Kanakenbude« thematisiert worden. Auch für diesen Anschlag bereitete er die Sprengkörper vor. Darüber hinaus bestätigte er verschiedene Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt in Freital. Weitere Anschläge seien geplant worden, so auf das Oktoberfestzelt und das Technische Rathaus in Dresden.

In seiner Einlassung ging F. auch auf seine Gesinnung und die Motivation für die Taten ein. Befragt nach Fotos mit schwarz-weiß-roter Flagge und Hakenkreuzflagge, erklärte Patrick F., dass er keine »rein rassistische Einstellung« teilen würde. Das Foto mit der Hakenkreuzflagge sei »für den Privatgebrauch« gewesen. Patrick F. habe dort auch keinen Hitlergruß gezeigt, was aber nicht bedeute, er »distanziere sich davon in Gänze«. Er habe da eine »gespaltene Einstellung«. Bis 2015 seien »Ausländer« für ihn nicht groß Thema gewesen, durchaus habe er sich aber für linke Gruppierungen wie die Antifa interessiert, »die eine Gefahr darstellen« würden. Zur Rollenverteilung in der Gruppe beschrieb er sich selbst als »zurückhaltender« und Timo S. als »Stimmungsmacher«. In seiner Einlassung versuchte Patrick F. das politische Motiv der Taten herunterzuspielen oder gar zu leugnen. So wie er den Anschlag in der Bahnhofstraße verübt haben will, weil dort Drogendealer gewohnt hätten, sollen die Anschläge Overbeckstraße und Wilsdruffer Straßen aus ebensolchen Motiven verübt worden sein. In seiner letzten Befragung vor Gericht räumte er jedoch ein, dass die Behauptung erfunden war, dass die Wilsdruffer Straße angegriffen worden sei, weil dort ein Drogendealer wohnen würde.

Sachverständige und Gutachten

An den Verhandlungstagen 28 und 29 wurden zwei Sachverständige gehört. Sie haben für den Prozess notwendige Gutachten erstellt, deren Ziel es war, mittels sogenannter Vergleichssprengungen die Sprengwirkung der eingesetzten Pyrotechnik und die möglichen Folgen zu rekonstruieren. Der BKA-Sachverständige Forster (siehe 28. Verhandlungstag) hatte den Auftrag erhalten, die Anschläge in der Bahnhofstraße und in der Willsdruffer Straße nachzustellen. Rechtsmediziner Prof. Rothschild (siehe 29. Verhandlungstag) begleitete die Sprengversuche, um festzustellen, wie schwer die Betroffenen durch die Explosionen hätten verletzt werden können. Die betroffenen Wohnungen wurden möglichst exakt nachgebildet, ebenso wie die Körper der Geschädigten, die mit ballistischer Seife und Schafsleder simuliert wurden. Allerdings wurden bei der Vergleichssprengung für die Wilsdruffer Straße Sprengsätze des Typs "Super Cobra 6 Topf" verwendet, obwohl zum Zeitpunkt des Gutachtens bereits bekannt war, dass "Cobra-12" verwendet wurden. Trotzdem liefern die Gutachten zentrale Ergebnisse. Mit dem Schadensbild hätten die Sachverständigen nicht gerechnet, sie seien vom Ausmaß der Schäden »schockiert« gewesen. Der Rechtsmediziner geht davon aus, dass es für eine Person, die der Explosionswolke ausgesetzt gewesen wäre, wahrscheinlich gewesen sei, einen Halstreffer zu erleiden, der »potentiell tödlich« sei. Zweifel weckte das Gutachten an den Aussagen Patrick F.s, den Anschlag in der Bahnhofstraße allein verübt zu haben. Seine Schilderungen widersprächen den Schadensbildern. Dass die Sprengsätze beim Anschlag auf die Wilsdruffer Straße am Fensterbrett abgelegtund nicht ans Fenster geklebt worden seien, überzeugte den Sachverständigen angesichts seiner Versuche ebenfalls nicht.

Erkenntnisse aus den Ermittlungen

Im Zuge der Ermittlungen gegen die "Gruppe Freital" wurden Beschuldigte vernommen, Wohnungen durchsucht, Computer, Datenträger und Telefone ausgewertet. Dabei wurden nicht nur Pyrotechnik, Zündschnur, Metallrohre, Bauanleitungen für Rohrbomben, Buttersäure und verschiedene Waffen, wie Teleskopschlagstöcke oder Schreckschusswaffen, gefunden, sondern auch zahlreiche Hinweise auf die rechte Gesinnung der Angeklagten. Auch Erkenntnisse zur Gruppenstruktur konnten gewonnen werden. Zu diesen Fragen berichteten zahlreiche Polizeibeamte.

Aus Vernehmungen, Observationen und Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) wurde deutlich, dass es in der "Gruppe Freital" eine klare Aufgabenverteilung bei Planung, Vorbereitung und Tatbegehung gab. Timo S. sei dietreibende Kraft, aber auch Patrick F. sei »ausschlaggebend« für die Gruppierung gewesen. Regelmäßiger Treffpunkt war die Aral-Tankstelle, zu Treffen habe man sich telefonisch oder per Chat abgestimmt, zunächst mit Whatsapp, später mit Kakaotalk. Kontakt hatte die Gruppe zur „Freien Kameradschaft Dresden“.

Rechte Gesinnung der Angeklagten als Tatmotiv

Die Beschuldigten spielten in den Vernehmungen ihre rechte Gesinnung, ihre Gewaltaffinität und die Tatmotivation herunter. Sie beschrieben sich als »asylkritisch«, als »weder rechts noch links«, »neutral« oder als »unzufrieden« mit »der Politik«. Dem entgegen stehen jedoch Chatauszüge, in denen unter anderem von »Kanaken aufknüpfen« die Rede war, überhaupt soll in der Gruppe oft von »Kanaken« gesprochen worden sein. In einer Sprachnachricht heißt es zum Anschlag Bahnhofstraße: »Herrlich. Jetzt stehen die ganzen Kanaken vor dem Fenster. Zehn Bimbos. Das sieht so geil aus.« Bei Zellendurchsuchungen ist bei dem Angeklagten Philipp W. eine Zeichnung gefunden worden mit einem Hakenkreuz und dem Eingang zum Konzentrations- und Vernichtungslager Buchenwald verbunden mit der Losung »Jedem das seine« In Briefen aus der Haft hieß es »Die Taten waren nicht klug, aber geil«, oder dass »Oppositionelle wie wir« eingesperrt bleiben müssten, weil »die Juden der Justiz Angst haben, dass ich nicht zur Verhandlung antrete«.

Im Zuge der Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten wurden diverse Kleidungsstücke gefunden, darunter die Marke Thor Steinar, T-Shirts mit der Aufschrift »FCK Antifa« (FCK steht für Fuck), »Freital« oder »Bürgerwehr Freital«, Pullover mit der Aufschrift „Kategorie C – Gegen alle Regeln“ oder mit dem Logo der Rechtsrockcombo „Stahlgewitter“, Schuhe, auf die Hakenkreuze gemalt worden sind, außerdem eine Reichskriegsflagge, eine Hakenkreuzflagge, Aufkleber mit „Todesstrafe für Kinderschänder“, „Einwanderung löst keine Probleme, sie schafft nur welche“, „Im Gedenken an die Gefallenen des 2. Weltkriegs“, „Tag der deutschen Zukunft“ oder „Antifa-Gruppen zerschlagen“, »Bitte flüchten sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen - Refugees not welcome«, »Bürgerwehr Freital« oder »HKNKRZ«. Auch eine selbstgebrannte CD mit dem Titel »Braun is beautiful« wurde aufgefunden, ebenso eine CD der Rechtsrockband »Gigi und die braunen Stadtmusikanten« (Mehr Informationen zu der Band).

Auf Computern und Speichermedien wurde unter anderem ein Bild gefunden, auf dem eine Gruppe vermummter Personen mit Bengalos, Hakenkreuzflagge und einer schwarzen Flagge mit »Freital«-Aufdruck posiert. Außerdem wurden gewaltverherrlichende Dateiinhalten gefunden. Allerdings wurdendiese Funde im Auswertungsbericht nicht näher erläutert, da die Ermittler keine Verfahrensrelevanz gesehen hätten.

Fehlerhafte Ermittlungen und widersprüchliche Aussagen

Die Vernehmungen der Polizeibeamten gezeigten, dass die Ermittlungen nicht immer gründlich geführt wurden. Die Tatmotivation stand nicht im Fokus der Polizeiarbeit, entsprechend wurde verschiedenen Beweisen und Hinweisen nicht nachgegangen. Auch die Auswertung beschlagnahmter Datenträger erfolgte nurunzureichend. Immer wieder gab es außerdem Übersetzungsprobleme bei der Befragung von Geschädigten. Ungeklärt bleibt auch der genaue Gang der Ermittlungen. Hier stehen sich die Aussagen der leitenden Staatsanwältin, eines Polizeibeamten und des Justizministers gegenüber.

Ein Polizeibeamter der "Ermittlungsgruppe Deuben", Kriminalhauptkommissar (KHK) M. (32. Verhandlungstag), kritisierte deutlich die Generalstaatsanwaltschaft (GeSta) Dresden, die die Anregungen zu einem Strukturermittlungsverfahren immer wieder abgelehnt habe. Stattdessen seien die Straftaten als Einzelstraftaten verfolgt worden. Spätestens um den 18. Oktober 2015herum seien die Ermittler von einem organisierten Täterzusammenhang ausgegangen. Daher hätten sie »öfters« Strukturermittlungen angeregt, weil eine Struktur »klar erkennbar« gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft habe diese aber ohne Begründung abgelehnt. Staatsanwältin Kirchhoff hatte das in ihrer Aussage (12. Verhandlungstag) anders dargestellt. Ihrer Erinnerung nach habe es zwar kein Strukturermittlungsverfahren gegeben, weil erstmal Ergebnisse der laufenden Ermittlungen abgewartet werden sollten. Es habe aber einen Prüfvorgang gegeben. Es sei darum gegangen alles zu sammeln. Erst wenn »genügend da ist«, werde die Entscheidung über ein Ermittlungsverfahren getroffen. Dem widersprach KHK M. in seiner Vernehmung deutlich. Bis die Bundesanwaltschaft das Verfahren im April 2016 »endlich« übernommen hatte, habe es auch keine Änderung des Ermittlungsauftrags gegeben.

Entgegen der Aussage des KHK M., dass eine Struktur »klar erkennbar« gewesen sei, soll es in einer Hausmitteilung der GeSta im März 2016 geheißen haben, dass die Täter zwar »vernetzt« gewesen seien, aber keine »Organisation« gebildet hätten und außerdem keine »hinreichende Erkenntnis« für eine Struktur vorliegen würden. Diese Mitteilung und die Aussage der Staatsanwältin Kirchhoff stehen auch im klaren Widerspruch zur Antwort des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow auf eine Landtagsanfrage vom Mai 2016 (kleine Anfrage), in der es heißt, dass Strukturermittlungen im Freital-Komplex veranlasst worden seien.

Aussicht

Die umfangreiche Beweisaufnahme wird ab 31. Juli 2017 vor dem Oberlandesgericht Dresden fortgesetzt. Hatte das Gericht ursprünglich 62 Verhandlungstage bis Ende September angesetzt, gibt es bereits jetzt weitere 26 Termine bis Ende Dezember. Das Gericht kündigte zudem am letzten Prozesstag vor der Sommerpause weitere Sitzungstermine bis Ende Februar an.

Zusammenfassung Teil 2

Weitere Betroffene, Anwohner*innen der Anschlagsziele, Kolleg*innen der Angeklagten, auch Zeug*innen aus dem politischen und persönlichen Umfeld der Angeklagten, Polizeibeamt*innen und Ärzt*innen, außerdem ein weiterer Gutachter. Auch Gordian Meyer-Plath, Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und Oberstaatsanwalt Dr. Christian Richter sagten vor dem OLG aus. Der eine oder die andere Zeug*in waren bereits zum zweiten oder gar dritten Mal geladen. Manche Zeug*innen erschienen gar nicht vor Gericht oder machten von ihrem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. Außerdem verlas das Gericht zahlreiche Dokumente: Chatprotokolle, Briefe, Mitschnitte aus der Telefonüberwachung, Aktenvermerke oder Auswerteberichte. Auch Beweisanträge wurden durch Verteidigung oder Nebenklage gestellt, der Großteil wurde jedoch durch das Gericht abgelehnt.

Am 65. Prozesstag schloss das Gericht die Beweisaufnahme. Es folgen nun die Plädoyers der Bundesanwaltschaft, der Nebenklage und der Verteidigungen, bevor das Gericht ein Urteil über die „Gruppe Freital“ und die ihr vorgeworfenen Taten sprechen wird. Zeit für einen weiteren zusammenfassenden Rückblick auf die zurückliegenden Prozesstage.

Weitere Betroffene der "Mangelwirtschaft" sagen aus

Nach der Sommerpause wurden zwei weitere Betroffene des Anschlags auf das Hausprojekt in der Overbeckstraße in Dresden gehört. Beide bestätigten das Bild, welches bereits drei Bewohner*innen vor Gericht zeichneten. Bereits vor dem Angriff am 18. Oktober 2015 sei es zu rassistischen Vorfällen im Viertel gekommen. Im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Notunterkunft in einer Turnhalle seien Flugblätter aufgetaucht, die zu Widerstand aufgerufen hätten. Später seien mehrere Anwohner*innen zu einer Blockade vor dem Turnhalleneingang zusammengekommen. Auch das Hausprojekt sei in den Fokus gerückt. Mehrfach hätten schwarzgekleidete Personengruppen vor dem Haus Stellung bezogen. Der Angriff sei in eine damals spürbare Bedrohungssituation einzuordnen.

Die Zeug*innen machten deutlich, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs Menschen in den Räumen des Erdgeschosses aufhielten. Eine*r der Betroffenen berichtete, dass er zum Tatzeitpunkt gerade ins Bett gehen wollte, sein Zimmerlicht im Erdgeschoss noch brannte. Als der Angriff begann, stand er auf und ging in den Hausflur. Ein weiterer Zeuge befand sich zu Beginn des Angriffs mit zwei weiteren Bewohner*innen in der Küche im ersten Obergeschoss und sei dann ins Erdgeschoss und dort in die Küche gelaufen. Wie bereits die anderen Zeug*innen, berichteten auch sie von beschädigten Fenstern, lautem Knallen, starker Rauchentwicklung im Hof, von aufgefundenen Pflastersteinen und Böllerresten, sowie von beschädigtem Mauerputz.

Overbeckstraße – versuchter Mord?

Angeklagt ist der Angriff auf das Hausprojekt Mangelwirtschaft als versuchte gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung. Doch die Frage, ob der nächtliche Anschlag mit Steinen, Buttersäure und explosionstarker Pyrotechnik, wie einer Kugelbombe und Cobra-12-Sprengkörpern, nicht auch anders gewertet werden könnte, stand vor dem Oberlandesgericht im Raum.

Die Tat war vom zuständigen Polizeirevier in Dresden als Sachbeschädigung aufgenommen worden - für die später zuständigen Kriminalbeamten bis heute unverständlich. Denn allein wegen der Größe der aufgefundenen Pyrotechnik sei klar gewesen, dass hier von einer schwereren Straftat auszugehen sei. Auch Spuren wurden kaum gesichert und die zuständige USBV-Gruppe nicht hinzugezogen.

Bereits vor der Sommerpause, am 33. Verhandlungstag, stellte ein Teil der Nebenklagevertreter den Antrag auf Erteilung eines rechtlichen Hinweises durch das Gericht, dass in diesem Fall auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Frage kommt. Im ausführlichen Antrag wurde auf die bisher erfolgte Beweisaufnahme verwiesen, insbesondere auf das rechtsmedizinische Gutachten und die Einlassungen der beiden Angeklagten Justin S. und Patrick F. Nach der vierwöchigen Sommerpause startete die Bundesanwaltschaft den 35. Prozesstag ebenfalls mit der Anregung diesen rechtlichen Hinweis zu erteilen.

Nach weiterer Beweisaufnahme erklärte die Bundesanwaltschaft jedoch Anfang November, dass man diese Anregung zurückziehe. Man sehe bei der Tat keinen Versuch eines Tötungsdeliktes. Es sei nicht nachzuweisen, dass für einen der Hausbewohner eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestanden habe. Das sei der »Knackpunkt«. Es sei nicht festzustellen, ob sich ein Bewohner direkt hinter einer Scheibe im Erdgeschoss aufgehalten habe. Zwar liege die Anwesenheit von Bewohnern nahe, das genüge aber nicht um einen vollendeten Versuch eines Tötungsdelikts zu unterstellen. Und auch der Vorsitzende Richter Fresemann stellte daraufhin klar, dass der Senat darüber beraten habe, aber derzeit keinen Grund für eine Verurteilung nach einem Tötungsverbrechen sehe.

Weitere Einlassungen

Zu den anklagten Vorwürfen ließen sich bisher lediglich Patrick F. und Justin S. vor Gericht ein. Am 53. Verhandlungstag tat dies auch Rico K. durch eine schriftliche Erklärung seiner Verteidiger. Er räumte darin seine Beteiligung am Angriff Overbekstraße ein. Er habe sich aber dagegen ausgesprochen, weil dort auch Kinder wohnen würden. Die Böller sollten niemals in das Haus, sondern nur gegen die Fassade geworfen werden, nur die Buttersäure sollte in das Haus kommen um „Präsenz zu zeigen“. Auch seine Beteiligung am Anschlag Wilsdruffer Straße versuchte er kleinzureden. Er wollte lediglich Zigaretten und Bier in Tschechien kaufen und habe dann erst an der ARAL Tankstelle von dem Plan erfahren. Obwohl er nach Hause wollte, sei er noch mit zu F. gefahren und habe, während dieser die Böller präpariert habe, ferngesehen. Da er nach Hause gefahren werden wollte, sei er mit zum Treffpunkt nach Kleinnaundorf gekommen und dort zu Timo S. ins Auto gestiegen. Fragen des Gerichts, der Bundesanwaltschaft, von anderen Verteidigern oder der Nebenklage wollte K. nicht beantworten.

Weitere Ermittlungsergebnisse

Zahlreiche Polizeibeamte wurden auch nach der Sommerpause gehört, zum Teil mehrfach. Die Beamten berichteten von Vernehmungen, Durchsuchungen, Observationen, Auswertungen von Asservaten, Funkzellenabfragen und von Ermittlungsverläufen.

Neben dem Nachweis der Beteiligung der einzelnen Angeklagten an den Anschlägen, ging es um die Gruppenstruktur sowie um die Gewaltbereitschaft, die rechte Gesinnung und die Tatmotivation. So wurde berichtet, dass in der Wohnung Mike S. eine Reichskriegsflagge über dem Bett hing und am Kühlschrank ein aus von Magneten zusammengesetztes Hakenkreuz zu finden war. Auch eine Schreckschusswaffe, ein Pfefferspray, zwei Teleskopschlagstöcke, eine Zwille mit Metallkugeln und Stinkbomben stellte die Polizei in der Wohnung fest.

Auf Telefonen, Laptops und USB-Sticks konnte die Polizei Bilder und Videos sicherstellen: Die Herstellung von Transparenten mit der Aufschrift »Wir wollen keine Asylheime«, Mike S. mit einem Teleskopschlagstock vor einer Reichskriegsflagge posierend, eine zerstörte Briefkastenanlage, Screenshots aus einem Chat, pyrotechnische Gegenstände, Patrick F. ausgestattet mit einer mutmaßlichen Softair-Ausrüstung und Bilder des neuen PKWs des Stadtrats Richter, Justin S. in einem T-Shirt auf das mit Klebeband ein Hakenkreuz aufgeklebt war, Hakenkreuzflaggen, die Ausschreitungen in Heidenau und Sprengversuche. Auch äußerst antisemitische und NS-verherrlichende Bilder wurden vor Gericht eingeführt: Eines zeigt Adolf Hitler vor einem Schornstein und dazu den Spruch: »Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude.« Das zweite Bild zeigt einen Vergaser und den Satz: »Vergaser – früher war das mal ein Beruf«. Auf dem Telefon Rico K.s fiel unter den Audiodateien insbesondere ein Hörbuch auf: Hitlers »Mein Kampf«.

Den Angeklagten wurden auch persönliche Facebookprofile zugeordnet und zumindest teilweise ausgewertet. Die Auswertevermerke der Polizeibeamten, sowie sichergestellte Chatprotokolle wurden zum Teil vor Gericht verlesen. Menschenverachtung und Gewaltverherrlichung wurden hier besonders deutlich: Timo S. verfasste ein Gedicht, in dem die Aktivitäten der Gruppe und einzelner Mitglieder auf zynische Art und Weise zusammengefasst wurden. Philipp W. berichtet im Chat, dass er eine Person mit einem DumBum-Böller beworfen habe. Er stellt außerdem in einem Gespräch über die Sprengversuche und die dabei festgestellte Streuwirkung fest, dass solche Sprengkörper »perfekt für innen oder große Menschenmengen« seien. Auch werden die Überlegungen zu einem Anschlag auf eine Kundgebung am Freitaler Friedensplatz thematisiert. Der User »DAKOM«, hinter dem der Freitaler NPD-Stadtrat Dirk Abraham stehen soll, erwidert auf die Einwände, dass dort auch Frauen und Kinder beteiligt seien: »Kinder haben da nichts zu suchen. Gebt den Eltern die Schuld.«

Der Großteil dieser Dokumente wurde im Selbstleseverfahren eingeführt. Dazu gaben die Nebenklagevertreter*innen eine Erklärung ab. Zahlreiche Äußerungen in den Chats belegen die manifeste Fremdenfeindlichkeit, die antisemitischen Ressentiments und die klaren Bezüge zur nationalsozialistischen Weltanschauung innerhalb der Gruppierung.

Vorgesetzte der Angeklagten demonstriert fehlendes Problembewusstsein ...

Die Personalleiterin beim Regionalverkehr Dresden (RVD) gab in ihrer Aussage zu Protokoll, dass sie über die Angeklagten Timo S. und Philipp W. nichts Negatives berichten könne. Beide Angeklagten waren dort als Busfahrer beschäftigt. Beide seien im Unternehmen wie auch bei den Kunden beliebt gewesen, nie habe es Beschwerden gegeben. Man sei im Unternehmen nach den Verhaftungen »sehr überrascht« gewesen. Die Zeugin führte mit den Angeklagten mehrere Personalgespräche, u.a. aufgrund Timo S.s Teilnahme an einer Demonstration trotz Krankschreibung. In diesem Gespräch habe Timo S. von einer »Bürgerwehr« berichtet und gefragt, ob diese nicht unentgeltlich im RVD mitfahren dürfe, um »aufzupassen«. Sie habe das zur Kenntnis genommen, aber die kostenlose Mitfahrt abgelehnt. Sie erklärte vor Gericht, dass das ja »Fahrgäste« seien, »die sollen bezahlen und sich anständig benehmen«. Sie habe »keine Veranlassung gesehen, in irgendeiner Weise in Frage zu stellen, was Timo S. in seiner Freizeit macht.« Der Personalleiterin wurde auch ein Chatmitschnitt vorgehalten, in dem Philipp W. nach seinem Personalgespräch schrieb, dass dem RVD »das alles eigentlich egal« sei. Entsprechend schloss die Zeugin damit, dass sie für eine erneute Beschäftigung Philipp W.s offen wäre. Wenn er seine Strafe verbüßt habe, sei er ein »freier Bürger« und habe durchaus eine zweite Chance verdient. Sie erklärte auch, dass sie in der Befragung das Gefühl bekommen habe, ihr und dem Unternehmen werde vorgeworfen keine »Gesinnungsprüfung« vorzunehmen. Ungefragt erklärte sie: »Das machen wir nicht.« Wenn jemand eine rechtsradikale Gesinnung habe, die aber nicht auslebe, dann interessiere »uns« das nicht. Konfession interessiere sie nicht, genauso wenig ob jemand Hooligan sei – so lange er dabei nicht die Dienstkleidung trage - oder wenn jemand seine Frau schlage. »Wir beschäftigen nach Profession - etwas Anderes interessiert uns nicht.«

Auch die Leiterin eines Pflegedienstes berichtete über das Arbeitsverhältnis mit dem Angeklagten Mike S., der dort seit Anfang 2012 als Pflegehelfer angestellt war. Demnach war Mike S. »engagiert«, »sehr nett«, bei den Mitarbeitern und Bewohnern angesehen. Sie habe ein Personalgespräch mit ihm geführt, nachdem er am 5. November 2015 unentschuldigt der Arbeit fernblieb. Ganz im Gegensatz zur RVD Personalleiterin, reagierte die Pflegedienstleiterin auf Hinweise zu den Aktivitäten ihres Angestellten außerhalb seiner Arbeit. Sie habe ihn angesprochen, ob er sich als »Uwe Fr.« ausgegeben habe. Anlass hierfür war eine Mail, in der darauf hingewiesen wurde, dass sie mit »Uwe Fr.« einen »aktiven Nazi« beschäftige. Uwe Fr. sei der Schwager von Mike S. und lebe wegen einer Alkoholabhängigkeit im Pflegeheim, in dem Mike S. arbeitet. Im Personalgespräch habe Mike S. eingeräumt, den Namen seines Schwagers genutzt zu haben. Mit Nazis habe er aber nichts zu tun. Die Zeugin berichtete jedoch von »rechts angehauchten« Äußerungen, extrem rechte Äußerungen wären aber »sicherlich« auf ihrem Schreibtisch gelandet. Allerdings, so schränkte die Zeugin ein, äußerte eine Kollegin, dass sie das nicht interessiere, wichtig sei, dass er mitarbeite.

...wie auch die Jugendgerichtshilfe zum Angeklagten Justin S.

Da der Angeklagte Justin S. zum Tatzeitpunkt Heranwachsender gewesen ist, wird durch die Jugendgerichtshilfe beurteilt, ob für ihn eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht in Frage käme. So stellte die Freitaler Jugendgerichtshelferin am 59. Verhandlungstag ihren Bericht vor. Sie berichtete über die familiären Hintergründe und die Entwicklung von Justin S. und empfahl dem Gericht Jugendstrafrecht anzuwenden. Zu den Tatvorwürfen erklärte sie, dass sich Justin S. durch die Meinung und Zustimmung in Freital bestärkt fühlen konnte und bei ihm die »Gruppendynamik« besonders stark gewirkt habe. Alles in allem sieht die Jugendgerichtshelferin »keine Rückfallgefahr« und »keine schädlichen Neigungen«. Sie käme zu einer »positiven Prognose«, da Justin S. eine Familie habe, die ihn unterstütze, eine Beziehung, sowie eine berufliche Perspektive im großväterlichen Betrieb. Die Ausführungen der Jugendgerichtshilfe stießen schon während des halbstündigen Vortrags auf erstaunte Gesichter. Oberstaatsanwalt Hauschild machte deutlich, dass er Ausführungen zu den rechtsextremen Einstellungen von Justin S. und seine Auseinandersetzung damit vermisse. Die Jugendgerichtshelferin erwiderte, dass sie die Einstellungen von Justin S. nur »wenig thematisiert« habe: »Er hat ja verneint rechtsextrem zu sein.«

Verbindung zur Freien Kameradschaft Dresden

Ein zentrales Thema der Beweisaufnahme war die enge Vernetzung und Zusammenarbeit mit der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD). Deutlich wurde, dass die beiden Gruppierungen spätestens ab Sommer 2015 in Kontakt standen und zahlreiche Aktionen gemeinsam durchführten. Die Dresdner nahmen an Demonstrationen in Freital teil, Freitaler in Dresden-Laubegast, Übigau, Prohlis oder an der Bremer Straße.

Justin S. bezeugte die Kontakte in seiner Einlassung und in zusätzlichen Schreiben, ebenso wie Patrick F. Auf den Mobiltelefonen der Angeklagten fanden sich zusätzliche Anhaltspunkte für die Verbindungen zwischen der Gruppe Freital und der FKD. Auch einige Angeklagte in den bisherigen FKD Prozessen beschrieben die Vernetzung. In zahlreichen polizeilichen Aussagen von Beschuldigten aus allen Verfahren wurden gemeinsame Aktionen, Kommunikationswege und Kontaktpersonen benannt. Der Leitende Ermittler im FKD-Komplex und der verfahrensführende Oberstaatsanwalt sagten mehrfach vor dem OLG aus um ihre Erkenntnisse aus diesen Vernehmungen, Durchsuchungen, Auswertungen und aus den laufenden Prozessen (bisher drei gegen insgesamt elf Angeklagte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung) darzulegen:

KHK Marcel W. vom OAZ berichtete von Vernehmungen mit Robert S. und Florian N., in denen sie Kontaktpersonen benannten, ausführliche Angaben zum Angriff auf das Wohnprojekt in der Overbeckstraße und zum Angriff auf die Asylunterkunft in der Podemusstraße machten. In den Augen des OAZ-Beamten haben die Ermittlungen gezeigt, dass vor allem Florian N. und Janette P. Kontakte für die Freitaler gewesen seien. Rico K. sei auf beiden Seiten zu verorten. In ein paar Punkten habe es Kooperationen zwischen beiden Gruppierungen gegeben: »Wenn man sich gefunden hatte, ist man arbeitsteilig vorgegangen.«

Auch Oberstaatsanwalt Dr. Christian Richter berichtete über die Aussagen von FKD-Angeklagten (50 und 59). Man habe sich im Zuge der Proteste gegen das Leonardo Hotel kennengelernt. »Richtig getroffen« habe man sich dann aber zum ersten Mal im Zuge der Ausschreitungen in Heidenau im August 2015. Einer Mobilisierung der FKD am Sonntag desselben Wochenendes seien etwa 20 bis 30 Personen gefolgt, darunter Patrick F. und Timo S. Die hätten auch die Idee gehabt, die Aktion »etwas größer aufzuziehen« und gleich zwei Unterkünfte, in Podemusstraße und Schäferstraße, parallel zu attackieren. Erneut wurde das arbeitsteilige Vorgehen beim Angriff in der Overbeckstraße geschildert, auch Maria K. wurde belastet beim Angriff dabei gewesen zu sein und keine Einwände gehabt zu haben. Darüber hinaus berichtete der Oberstaatsanwalt von Aussagen zu Angriffen auf dem Rummel in Dresden im Oktober 2015, deren Anlass eine Nachricht des Angeklagten Rico K. gewesen sei, oder am 30. Oktober 2015 im Anschluss an eine AfD-Demonstration in Pirna, bei dem Timo S., Patrick F. und »eventuell auch mehr« Freitaler dabei gewesen seien. Nach den ersten Festnahmen in Freital im November 2015 habe es Aktionen gegeben, in denen Transparente »Free Freital« und »Lasst unsere Jungs frei« gezeigt wurden.

Probleme in den Ermittlungen

Auch im zweiten Teil des Prozesses gegen die Gruppe Freital tauchten immer wieder Fehler, Unzulänglichkeiten und strukturelle Probleme in der Ermittlungsarbeit auf: Die fehlerhafte Auswertung eines USB-Sticks, fehlende Observationsberichte in den Akten und die ausgebliebene umfassende Auswertung des "Kakaotalkchats" (interner Chatraum) aufgrund knapper personeller Ressourcen beim OAZ. Knappe personelle Ressourcen seien auch der Grund gewesen, warum nur eine Observationsmaßnahme gleichzeitig möglich war und man sich in der Ermittlungsgruppe entscheiden musste zwischen Timo S. und dem neuen PKW des Stadtrats Richter. Für letzteres habe man sich entschieden, da man vermutete, dass dieser das nächste Anschlagsziel sei. So hätten die Observationskräfte nicht das tatsächliche Anschlagsziel in der Wilsdruffer Straße feststellen können.

Dass es entgegen der Einschätzung der ermittelnden Polizeibeamten die Staatsanwaltschaft gewesen sei, die Strukturermittlungen ablehnte und keine Organisation erkennen wollte, bestätigten weitere Beamte, nachdem dies KHK M. bereits deutlich kritisierte. Auch OAZ-Beamtin Susann H. bestätigte, dass zum Zeitpunkt, als sie zur Ermittlungsgruppe Deuben gestoßen ist, die Kollegen bereits von einer Vereinigung ausgegangen seien, die Staatsanwaltschaft jedoch nur wegen Einzeldelikten ermitteln ließ. Auch KHK Matthias Ro., leitender Sachbearbeiter der EG, erklärte, dass spätestens seitdem die "Kakaotalk-Chats" durch Torsten L. vorgelegt worden sind, der Verdacht nahelag, dass die Taten als Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt werden können. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens habe aber deutlich gemacht, dass sie nicht genügend hinreichende Verdachtsmomente sieht. Das sei bei einem Treffen am 28. Oktober 2015 erklärt worden, bei dem sich Vertreter der EG Deuben mit vier Staatsanwälten getroffen haben sollen. Auch danach, bis zur Übernahme durch die Bundesanwaltschaft im April 2016, habe die zuständige Staatsanwältin Kirchhof darauf bestanden, dass die Taten als Einzelstraftaten bearbeitet werden.

Die drei Polizisten

Offen blieb die Frage nach Kontakten der Gruppe Freital zu drei Polizisten. Sämtliche Ermittlungen hierzu wurden eingestellt. Interesse an einer Klärung dieser brisanten Frage hatte einzig die Nebenklage. Die Anwält*innen scheiterten jedoch mit Beweisanträgen und Frageversuchen in diese Richtung. Die beantragte Vernehmung der drei zeitweise beschuldigten Polizeibeamten berühre nicht die Merkmale der angeklagten Tatbestände und sei für die Rechtsfolgen unerheblich. Bei der Frage an den Vernehmungsbeamten von Patrick F. nach dessen Kontakten zu Polizeibeamten, intervenierte die Bundesanwaltschaft aufgrund fehlender Aussagegenehmigung. Deutlich wurde jedoch zumindest, dass es eine weitere Befragung von Patrick F. durch das Dezernat für Amtsdelikte gegeben hat, in der es um diese Verbindungen ging.

Der (vertrauliche) Zeuge Torsten L.

Der Frage nach dem Zeugen Torsten L., der als vertraulicher Tippgeber bereits im Vorfeld des Prozesses mehrfach im Fokus der Öffentlichkeit stand, widmete sich das Gericht jedoch durchaus erschöpfend. Torsten L. ist der Zeuge gewesen, dem zu Beginn der Ermittlungen Vertraulichkeit durch die Staatsanwaltschaft zugesichert, später aber widerrufen wurde. Torsten L. selbst wurde als Zeuge geladen, machte jedoch vor Gericht keine Angaben, da er bereits alles gesagt habe. Ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht stand ihm auch zu, da er in einem zweiten Ermittlungsverfahren zur Gruppe Freital als Beschuldigter geführt wird. Dafür sagte der Polizeibeamte Thomas G., der bis zum 29. Oktober 2015 Dienstvorgesetzter der EG Deuben war, ausführlich dazu aus. Er hatte die ursprünglich vertrauliche Vernehmung am 27. Oktober 2015 mit Torsten L. durchgeführt, nachdem die Staatsanwaltschaft die Vertraulichkeit bestätigt habe. Torsten L. erklärte, dass er während des Angriffs auf die Overbeckstraße anwesend gewesen sei und machte ausführliche Angaben zu Ablauf und Beteiligten. Auch weitere Angriffe ordnete er der Gruppe zu und berichtete von einem Chat, aus dem er Protokolle zeigte. Thomas G. erklärt auch, dass er ein Treffen zwischen Torsten L. und zwei Mitarbeitern des LfV Sachsen »anmoderiert« habe, auf Wunsch Torsten L.s.

Dazu sprach der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen Gordian Meyer-Plath. Geladen wurde dieser auf Antrag der Verteidigung, um eventuelle Kontakte zwischen LfV und einem der Angeklagten bzw. dem Umfeld aufzudecken. Meyer-Plath verneint dies für die Angeklagten, auch zum Zeugen Dirk Abraham habe es keine Kontakte gegeben. Jedoch habe es mit Torsten L. einen einmaligen Kontakt am 26. Oktober 2015 gegeben, so der LfV Präsident weiter. Eine Zusammenarbeit sei jedoch nicht zustande gekommen und Informationen »über die Szene« seien bei diesem Treffen »nicht abgeflossen.« Zu den näheren Umständen der Kontaktaufnahmen will Meyer-Plath nur in nichtöffentlicher Sitzung Stellung nehmen, was der Senat daraufhin veranlasste.

Manches bleibt ungeklärt

Der Ablauf des Anschlags auf die Bahnhofstraße, den Patrick F. nach seinen Angaben allein und spontan begangenen haben will, kann in der Beweisaufnahme nicht endgültig geklärt werden. Zentrale Frage war, ob das Fenster, wie von F. behauptet, angekippt gewesen sei oder geschlossen. Ein eindeutiges Ergebnis konnte der Gutachter für Fensterbau anhand der Ermittlungsakte und der unzureichenden Tatortbilder jedoch nicht rekonstruieren, das wäre nur durch Begutachtung des beschädigten Originalfensters möglich. Der Sachverständige hatte auch einen Ortstermin in der Bahnhofstraße um sich ein Bild zu machen. Vor Gericht wurde ihm zudem ein Video der BKA-Sprengversuche gezeigt, außerdem hatte die Nebenklage Videoprints vorbereitet. Die Frage blieb dennoch offen, wenn auch Indizien für ein zum Tatzeitpunkt geschlossenes Fenster sprächen. Trotzdem die Nebenklage in einer Erklärung aufzeigt, dass der Gutachter plausibel erklärt habe, dass das Fenster vor der Explosion geschlossen gewesen sein könnte, erklärte die Bundesanwaltschaft, dass deutlich geworden sei, dass der Zustand nicht mehr eindeutig rekonstruierbar sei. Deswegen gehe die Bundesanwaltschaft von der Richtigkeit der Angaben des Angeklagten Patrick F. aus.

Neben den einzelnen Anschlägen und der Bildung einer terroristischen Vereinigung hatte die Bundesanwaltschaft auch die Vorbereitung weiterer Sprengstoffanschläge angeklagt. Dieser Anklagepunkt wurde jedoch Anfang November zurückgezogen. Die aufgefundenen Sprengstoffmittel, also nicht zugelassene Pyrotechnik und Metallrohre mit beidseitigem Gewinde, seien nicht ausreichend, um Vorbereitungshandlungen zu unterstellen. Ob beispielsweise die Metallrohre im Keller von Patrick F. bearbeitet wurden, war nicht Gegenstand von Ermittlungen. Für konkrete Planungen würden eindeutige Hinweise auf Tatziel, -zeit und -modalitäten fehlen. Das Gericht bestätigte zwei Verhandlungstage später diesen Antrag der Bundesanwaltschaft den siebten Anklagepunkt »Vorbereitung weiterer Sprengstoffexplosionen« fallen zu lassen.