Eintrag 14. August 2017

9. August 2017: 39. Verhandlungstag

Die heutige Sitzung ist in viele kurze Abschnitte untergliedert. Erneut wird die Zeugin H. gehört, die über eine Vielzahl von Funkzellenabfragen, Telekommunikationsüberwachungen und Asservatenauswertungen berichtet. Sie erläutert auch Hintergründe zu Observationsmaßnahmen, die aber aufgrund knapper personeller Ressourcen ins Leere gelaufen sind. Auch diese Zeugin verweist auf den Konflikt mit der Staatsanwaltschaft, die für ein Organisationsdelikt keine Anhaltspunkte erkennen konnte.

Zu Beginn der Sitzung stellt die OAZ-Beamtin die Auswertung einer Funkzellenabfrage zum Anschlag Bahnhofstraße dar. Beginnend am 19. September 2015 um 23 Uhr seien bis zum 20. September um 1 Uhr insgesamt 17.000 Verkehrsdatensätze abgefragt worden. Für das Telefon von Timo S. seien insgesamt vier Datensätze aufgetaucht, für Patrick F. sei ein einsekündiger Anwahlversuch zu verzeichnen gewesen und für Maria K. eine Verbindung. Ein zusätzlich gefertigtes 50-seitiges Gutachten erläutert, dass es wahrscheinlich nicht möglich sei, dass sich Patrick F. und Timo S. in ihren Wohnungen aufgehalten haben und zugleich in die abgefragte Funkzelle eingeloggt waren.

Bei einer Funkzellenabfrage zum Angriff auf die Overbeckstraße seien insgesamt 5000 Datensätze angefallen. Die Überprüfung ergab dann ein Telefonat von Maria K. gegen 23:33 Uhr. Ebenfalls 5000 Datensätze fielen bei einer Datenabfrage zum Anschlag Wilsdruffer Straße an. Festgestellt wurden hier zwei Telefonate zwischen Sebastian W. und Mirjam K., außerdem sei nachvollziehbar, dass Timo S. sechs Minuten vor der Tat in der Funkzelle eingeloggt gewesen war.

Im nächsten Komplex geht es um die Auswertung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) zum Anschlag Wilsdruffer Straße. TKÜ-Maßnahmen seien gegen Timo S. und Mike S. gelaufen, sowie gegen Axel G. und eine weitere Person, gegen die sich der Tatverdacht aber nicht erhärtet habe. Die Zeugin schildert die geführten Gespräche und verschickten Nachrichten, die sich vor allem auf die Fahrt nach Tschechien zum Kauf von Pyrotechnik beziehen. Es ging um den sicheren Transport und die Lagerung der nicht zugelassenen Sprengkörper, worum sich insbesondere Mike S. gekümmert habe. In einem Telefonat zwischen Timo S. und Maria K. wird aber auch schon die Planung für den Abend angesprochen: man wolle »eskalieren«.

H. erklärt, dass die TKÜ in dieser Nacht live von einem Kollegen verfolgt worden sei. Außerdem seien auch Observationsmaßnahmen durchgeführt worden. Dafür sei ein Team des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) verantwortlich gewesen. Entgegen dem richterlichen Beschluss zur Observation von Timo S. habe man sich in der Ermittlungsgruppe entschieden, den neuen PKW des Stadtrats Michael Richter zu observieren. Der Auslöser dafür sei ein mitgehörtes Telefonat von Mike S. am 27. Oktober 2015 gewesen, in dem der sich bei Mirjam K. über den Standort des Fahrzeugs erkundigt habe. Die EG-Beamten hätten daraufhin vermutet, dass der PKW das nächste Anschlagsziel sei, deswegen seien die Observationskräfte verlegt worden.

Aufgrund der knappen Personalressourcen sei aber nur eine Observation möglich gewesen. Der PKW des Timo S. sei nur noch mit einem GPS-Sender überwacht worden. Ob diese Überwachung in Echtzeit erfolgt sei, könne H. nicht sagen, sie wisse auch nicht, ob so eine Aussage überhaupt von ihrer Aussagegenehmigung gedeckt sei. Die Einweisung der Observationskräfte sei am 28. Oktober 2015 erfolgt.

Dass die TKÜ live besetzt war, sei an mehreren Tagen der Fall gewesen, so die Beamtin. Sie könne aber nicht genau sagen, welche Tage das waren. Ansonsten habe vor allem sie die TKÜ betreut. Sofern sie nicht anderweitig eingebunden war, habe sie die Gespräche bearbeitet, meist am Tag nachdem sie aufgelaufen waren. Neben den Inhalten sei auch die Adresse der jeweils genutzten Funkzelle angezeigt worden. Ab dem 28. oder 29. Oktober 2015 seien bei den Angeklagten Mike S. und Timo S. sogenannte »stille SMS« eingesetzt worden. In den Nachtzeiten seien dann viertelstündig für den Empfänger unsichtbare SMS zur Positionsbestimmung verschickt worden.

Die Beamtin hat auch die TKÜ des Angeklagten Mike S. ausgewertet. Insbesondere im Vorfeld des Angriffs auf die Overbeckstraße sei das aufschlussreich gewesen. Es habe Absprachen mit Justin S. gegeben, dass Mike S. Buttersäure mitbringen solle, insgesamt vier Flaschen. Auch einen Nebeltopf, im Telefonat als »Mulmtopf« bezeichnet, habe er mitbringen wollen. Cobra-12-Sprengkörper besitze er, aber diese würden bei »Opa Fritzsche« lagern, da sei Mike S. an dem Abend nicht mehr herangekommen. Weiterhin sei herausgekommen, welches Facebookprofil Mike S. genutzt habe und dass er Berichte für die Facebookseiten »Frigida« und auch »Bürgerwehr FTL 360« verfasst haben soll. Insgesamt habe es aber nur sehr wenige SMS und Telefonate gegeben, sie vermute, dass recht viel via Internet gelaufen sei. Diese Kommunikation lasse sich aufgrund von Verschlüsselung nicht nachverfolgen, erkennbar sei lediglich welche Internetdienste aufgerufen werden, im konkreten Fall sehr oft: Kakaotalk und Facebook.

H. beschreibt als nächstes die TKÜ für den Angeklagten Timo S., die am 15. Oktober 2015 begonnen worden sei. Herausragende Ereignisse waren Telefonate im Zusammenhang mit dem Pegida-Jahrestag am 19. Oktober 2015. Timo S. sei hier später zu einer nach Aussage von Justin S. 400 Personen starken Gruppe dazugestoßen. Ein weiteres Telefonat am gleichen Abend endet damit, dass Timo S. sein Gegenüber anschreit: »Ich kann jetzt nicht reden, ich hau denen auf die Fresse.«

Ein weiteres Gespräch habe sich um den Rummel in Dresden gedreht. Maria K. habe darin am 29. Oktober 2015 gefragt, ob Timo S. dort hinkomme. K. habe auf Aussagen von Jeanette P. verwiesen, die zur Freien Kameradschaft Dresden gehört. Sie habe gesagt, dass es auf dem Rummel »Vorfälle« mit »25 Kanaken« gegeben habe, deswegen wolle man dorthin. H. erinnert sich, dass sie das Gespräch live mitgehört haben und gleich darauf die Polizeidirektion Dresden darüber in Kenntnis gesetzt haben. Daraufhin seien die Polizeikräfte am Rummel verstärkt worden.

Die TKÜ habe ansonsten gezeigt, dass Timo S. die meisten Gespräche mit Maria K. geführt habe. So habe es auch ein Telefonat gegeben, das H. als »sehr gewaltverherrlichend« beschreibt. Darin ging es darum, dass man eine Person, mit der Maria K. im Streit lag, am besten »umhauen« oder gleich »totschlagen« sollte.

Der nächste Punkt, für den die Zeugin verantwortlich war, ist die Auswertung des Mobiltelefons von Mike S. Darauf seien 30.000 Bilddateien zu finden gewesen, von denen H. eine dreistellige Zahl als tatrelevant eingeschätzt hat. Die Kakaotalkchats hätten nicht ausgelesen werden können, deswegen habe man diese abfotografiert. Mike S. habe diese aber offenbar oft gelöscht, so die Ermittlerin, der älteste sei auf den 4. November 2015 datiert gewesen. Inwiefern die Auswertung vollständig war, bleibt offen. Ob Exif-Daten der Bilddateien berücksichtigt oder ob etwa gelöschte SMS oder MMS wiederhergestellt worden sind, kann die Zeugin nicht beantworten.

Die OAZ-Beamtin wird auch nach der vertraulichen Aussage Torsten L.s befragt, sie erklärt aber, dass sie dazu nicht viel sagen könne. Sie habe damals lediglich gewußt, dass es die Vernehmung gegeben habe. Erst mit dieser Aussage habe sich letztlich der Verdacht erhärtet, dass man es mit einer Gruppe zu tun haben könnte. Sicherlich habe es ab dem 15. Oktober einige Hinweise und Indizien gegeben, aber vieles sei bis dahin noch nicht bekannt gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe aber im Gegensatz zu den Ermittlern in der EG Deuben die Position vertreten, dass es für ein Organisationsdelikt nicht genügend Anhaltspunkte gegeben habe.

Zur EG Deuben sei sie gleich nach der Gründung am 20./21. September 2015 abgestellt gewesen. Sie seien dort zu dritt gewesen. Sie sollten nach nunmehr vier Straftaten konstant ermitteln. KHK Ro. habe bereits zum Anschlag auf den PKW Richter ermittelt und zu einer zerstörten Briefkastenanlage, sei aber zwischenzeitlich zurück zu seinem regionalen Ermittlungsabschnitt abberufen worden. Später sei noch eine Teilzeitkraft hinzugekommen und zeitweise habe man Unterstützungskräfte hinzugezogen, wenn konkrete Aufgaben anstanden. Die Kollegin K. sei ihres Wissens erst später dazugestoßen. So habe sie etwa wegen Urlaubszeiten von Kollegen vom 10. bis zum 18. Oktober lediglich allein gearbeitet.

Verwundert habe sie aber die Aussage vom Kollegen Thomas G., er sei Dienstvorgesetzter der EG Deuben gewesen. In ihren Augen sei KHK Ro. der Leiter der Ermittlungsgruppe und der Leiter des Zentralen Ermittlungsabschnitts Z. der Dienstvorgesetzte gewesen.

Zum Abschluss der Sitzung wird die Frage thematisiert, warum in den Ermittlungsakten lediglich ein Observationsbericht vom 4. November aufzufinden sei. Die Zeugin meint, dass es noch weitere geben müsse, jedoch sind die weder dem Gericht noch der Bundesanwaltschaft bekannt. Die Zeugin wird gebeten sich bis zum nächsten Termin nach dem Verbleib der fehlenden Akten zu erkundigen und diese gegebenfalls mitzubringen.

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