Eintrag 10. August 2017

8. August 2017: 38. Verhandlungstag

Einzige Zeugin des heutigen Tages ist die OAZ-Beamtin H., die frühzeitig Teil der Ermittlungsgruppe (EG) Deuben gewesen ist. Sie berichtet abschnittsweise zu verschiedenen Ermittlungsthemen, darunter zwei Vernehmungen des Angeklagten Justin S., eine des Angeklagten Mike S. und Auswertungen verschiedener Asservate.

Die Beamtin beginnt mit einer Zeugenvernehmung von Justin S. am 25. September 2015. Er und auch Mike S. seien geladen worden, weil ihre Personalien ein paar Tage zuvor am 20. September am Rande des Tatorts Bahnhofstraße aufgenommen worden waren.

Die Vernehmung, so die Polizistin, habe sich »sehr, sehr schwierig« gestaltet, da Justin S. von sich aus kaum etwas erzählt habe und eingeschüchtert gewirkt habe. Am Abend des Anschlags auf die Bahnhofstraße sei Justin S. ab etwa 18 Uhr bei einer Geburtstagsparty gewesen. Später habe er eingeräumt an der Bahnhofstraße gewesen zu sein, man habe dort schauen wollen, was los sei. Näheres über die angegriffene Wohnung will Justin S. nicht gewußt haben. Dass dort Asylsuchende untergebracht seien, habe er nicht gewußt und er habe in der Befragung auch gesagt, dass er nicht glaube, jemand aus seinem Freundeskreis wisse davon. Der Beamtin kam das merkwürdig vor, da die zuvor durchgeführte Vernehmung von Mike S. andere Erkenntnisse erbracht habe.

Mit Mike S., so Justin S. weiter, sei er befreundet gewesen. Man gehe ab und zu in Freitaler Kneipen. Nach der »GfE Germany« gefragt, habe Justin S. nur geantwortet, dass er von der Organisation lediglich einen Flyer gelesen habe, mehr könne er dazu nicht sagen. H. schätzt ein, dass Justin S. bewußt »geblockt« habe, sie vermutete damals schon, dass er die Täter kenne. Am Ende der etwa dreiviertelstündigen Vernehmung hätten die Beamten mehr Fragen als Antworten gehabt.

Das nächste Thema ist die Durchsuchung bei Justin S. am 5. November 2015 und die daran anschließende Beschuldigtenvernehmung. H. sei bei der Durchsuchung Truppführerin gewesen. Sie hätten 6:00 Uhr am Wohnhaus der Familie geklingelt, geöffnet habe die Mutter von Justin S. - er selbst sei damals zur Lehre gewesen und in einer Pension in Reichenbach untergebracht gewesen. Die Mutter sei besorgt, ansonsten aber sehr kooperativ gewesen, berichtet die Zeugin. Im Zimmer von Justin S. seien verschiedene schwarze Bekleidungsstücke beschlagnahmt worden, Quittungen aus Tschechien, eine Festplatte, ein Mobiltelefon. Auf eine rechte Gesinnung hätten verschiedene Aufkleber kleinerer Anzahl gedeutet, die auf einem kleinen Tisch lagen. Sie hätten ausnahmslos von widerstand.info gestammt und zeigten Botschaften wie »Arbeit zuerst für Deutsche«, »Antifagruppen zerschlagen«, »Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion«, »Globalisierung tötet«, »Ausländer rein – wir sagen nein« oder »Wir fordern: Asylheime dichtmachen«. Nach Rücksprache mit der Einsatzleitung seien die Aufkleber lediglich fotografisch dokumentiert, nichtaberbeschlagnahmt worden, erläutert die Beamtin. Gegen 9 Uhr hätten sie die Maßnahme beendet.

Ein zweiter Durchsuchungstrupp habe parallel das Zimmer von Justin S. in der Pension in Reichenbach durchsucht. Dort sei unter anderem ein Laptop sichergestellt worden. Außerdem hätten die Beamten Justin S. zur ED-Behandlung, DNA-Abgabe und anschließenden Vernehmung nach Dresden gefahren.

H. schildert, dass sich Justin S. auch hier zuerst sehr wortkarg gegeben habe. Sie habe das als Versuch gedeutet sich nicht selbst zu belasten. So habe Justin S. auf die Frage nach der Overbeckstraße nur gesagt, dass er dort einmal Streife gefahren sei. Konkret zum Angriff am 18. Oktober 2015 habe er angeben, sich nicht erinnern zu können, er sei »so oft« dort gewesen. Nachdem Justin S. ein mitgeschnittenesTelefongespräch vorgehalten wurde, in dem er mit Mike S. über das Mitbringen von Buttersäure spricht, habe es nach Aussage der Beamtin »Klick gemacht« und Justin S. habe begonnen, sich »alles von der Seele« zu reden. Er habe dann auch Sachen erzählt, die nach Meinung von H. so noch nicht bekannt gewesen seien.

Unter anderem beschrieb er den konkreten Tatablauf in der Overbeckstraße. Gegenüber den Beamten habe er angeben, dass das Ziel der Aktion gewesen sei, das Haus »unbewohnbar« zu machen. Justin S. habe erklärt, er habe niemanden verletzen wollen, zugleich habe er aber auch eingeräumt, dass angesichts der eingesetzten Pyrotechnik, die Gefahr bestehe sich zu verletzen. Die Cobra-12-Sprengkörper würden »krasse Explosionen« auslösen. Der ursprüngliche Tatplan sei nicht umgesetzt worden, da das Licht eingeschaltet worden sei und sich Personen im Haus bewegt hätten, was die Angreifer überrascht habe. Sie seien davon ausgegangen, dass die Bewohner_innen schlafen würden. Dennoch sei die Aktion abschließend als Erfolg gewertet worden, Timo S. habe sich auf der Rückfahrt »megagefreut«.

Weiterhin habe Justin S. in der Vernehmung Angaben zum Ablauf des Anschlags auf die Wilsdruffer Straße gemacht, wo er gemeinsam mit Philipp W. und Patrick F. Sprengkörper an den Fenstern abgelegt und gezündet haben soll. Er sei nicht erst dazu gefragt worden, so die Vernehmungsbeamtin, sondern habe selbst Hintergründe erzählt. Als Motiv habe er auf vermeintliche Vorfälle verwiesen, etwa Vergewaltigungen. Das sei aber nichtsKonkretes gewesen. Nach H.s Meinung habe sich Justin S. »aufputschen« lassen, sowohl von Pressemeldungen,als auchvonseinen »Kumpanen«. Berichtet habe er außerdem von Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt.

Nach einer einstündigen Pause setzt die OAZ-Beamtin ihre Aussage mit Erläuterungen zur Asservatenauswertung fort. Auf dem Laptop von Justin S. hätte sie 1700 Bilder gefunden, von denen sie letztlich 38 als tatrelevant eingestuft habe. Das Gericht nimmt die Fotografien in Augenschein, sie zeigen die Herstellung von Transparenten mit der Aufschrift »Wir wollen keine Asylheime«, den Angeklagten Mike S. mit einem Teleskopschlagstock vor einer Reichskriegsflagge posierend, eine zerstörte Briefkastenanlage, Screenshots aus einem Chat, pyrotechnische Gegenstände, Patrick F. ausgestattet mit einer mutmaßlichen Softair-Ausrüstung und Bilder des PKWsdesStadtratsRichter.

Auf dem Mobiltelefon von Justin S. habe die Beamtin weitere 89 tatrelevante Bilder von ursprünglich 3600 herausgefiltert. Darauf ist unter anderem der neue PKW des Linken-Stadtrats zu sehen, außerdem eine Pringelsdose, die nach Angaben von Justin S. mit Zement und DumBum-Böllern gefüllt gewesen sei und dann mit Panzerband umwickelt wurde. Gebastelt habe das sein Mitbewohner in Reichenbach, aus »Jux und Dollerei«. Ein weiteres Bild zeigt Justin S. in einem T-Shirt auf das mit Klebeband ein Hakenkreuz aufgeklebt war. Gesichert habe H. ein paar Videos, darunter Aufnahmen von den Ausschreitungen in Heidenau und ein weiterer Sprengversuch, bei dem die Stimme von Maria K. zu vernehmen sei.

Im nächsten Abschnitt schildert die Kriminalistin H. die Zeugenvernehmung von Mike S. am 23. September 2015. Er habe einen »recht redseligen Eindruck« gemacht. Er habe angegeben, dass er vor dem Anschlag Bahnhofstraße mit Axel G. zu einer Geburtstagsparty gegangen sei. Auf dem Rückweg habe er mitbekommen, dass in der Bahnhofstraße etwas vorgefallen sei. Er habe dort vor einer Kneipe Bekannte getroffen, dann sei es schon zur Identitätsfeststellung gekommen. H. habe ihn dann auch nach dem Anschlag auf das Linken-Parteibüro gefragt. Mike S. habe angeben, dass er an der ARAL-Tankstelle gewesen sei, aber den Knall nicht gehört habe. Das sei H. schon merkwürdig vorgekommen, weil sie wußte, dass selbst die Kollegen vom gegenüberliegenden Revier die Detonation deutlich hören konnten. Mike S. sei später an den Tatort gefahren, weil Polizei und Feuerwehr ausgerückt seien.

Dann geht H. auf Aufzeichnungen der Überwachungskamerasan der ARAL-Tankstelle ein. Im Zeitraum um den Anschlag Bahnhofstraße habe sie nur zweimal den Audi des Angeklagten Patrick F. feststellen können. Im Zeitraum um den Anschlag Parteibüro taucht der PKW von Timo S. auf, außerdem sind Timo S., Philipp W., Patrick F., Sebastian S., Mirjam K. und später auch Mike S. im Tankstellenbereich zu sehen. In der Nacht vom 4. auf den 5. November 2015 zeigen die Kameras Sebastian W., Timo S., Rico K., Mike S., Dirk Abraham und Mirjam K., sowie die mutmaßlichen FKD-Mitglieder Robert S. und Florian N. Abschließend geht die Beamtin auch noch auf eine Funkzellenabfrage im Zuge der Ermittlungen zum Anschlag auf den PKW Richter ein, aufgrund der Größe der Funkzelle bleibt der Beweiswert jedoch überschaubar.

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