Eintrag 8. Februar 2018

6. Februar 2018: 72. Verhandlungstag

Die Verteidiger von Sebastian W. und Rico K. halten ihre Schlussvorträge. Erneut wird sowohl die Existenz einer terroristischen Vereinigung, als auch der bedingte Tötungsvorsatz bestritten. Hinzukommen Ausflüge ins politische Feld: Mehrere Anwälte geiseln die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als Ursache für die Taten der Freitaler Gruppierung.

Nachdem die heutige Hauptverhandlung mit einer einstündigen Verzögerung beginnt, verkündet der Senat, dass er die Anordnung zur Durchsuchung von Verteidigern, Nebenklagevertretern, sowie der Jugendgerichtshilfe aufgehoben hat

Dann folgt das Plädoyer der Verteidiger von Sebastian W., RA Albrecht eröffnet. Er erklärt, dass er sich den Ausführungen von RA Franek anschließe. Ein bedingter Tötungsvorsatz genüge nicht, um den Tatbestand der Bildung einer terroristische Vereinigung zu begründen. Darüberhinaus, so der Verteidiger, habe er auch eine Einschüchterung der Bevölkerung nicht wahrgenommen. Albrecht erklärt, er arbeite in Freital, habe von den »Sachverhalten« nur aus den Polizeimeldungen erfahren. Niemand habe ihm gegenüber geäußert, dass er sich durch die Anschläge bedroht fühle. Außerdem: Er glaube nicht, dass die Angeklagten die Verfassungsgrundsätze erschüttert haben. Wenn das so gewesen wäre, dann wäre das »eher beunruhigend«.

Der Anwalt spricht im Rückblick auf 2015 von einer »hysterischen Stimmung in Freital«. Tatsächlich hätten die Behörden die »Kontrolle verloren«, so Albrecht. Das zeige schon die Zahl von 100.000 bis 200.000 Asylsuchenden pro Monat, die er bei Wikipedia nachgeschlagen habe. Der innere Frieden sei nicht durch die Angeklagten, sondern durch die gesamte Situation gefährdet gewesen. Außerdem reagiere man in Freital »empfindlicher«, da man im »Schatten der schillernden Landeshauptstadt« stehe. Die Stadt sei »deindustrialisiert« worden nach der Wiedervereinigung, dann habe es den »Zustrom von Konkurrenten« gegeben. In »dieser Situation« habe sich sein Mandant mit den anderen Angeklagten getroffen.

Sein Mandant habe aus Rücksicht auf seine Lebensgefährtin Mirjam K. im Prozess keine Aussage gemacht. Er wolle sie nicht einer Strafverfolgung aussetzen und das könne der Verteidiger nachvollziehen. W. sei von ihr aber beeinflusst und sie habe ihn »mit reingezogen«. Außerdem habe W. unter Druck gestanden, weil in der Gruppe vermutet worden sei, er könne ein »Spitzel« sein. Der Anwalt verweist auf eine entsprechende Audionachricht vom 16. September 2015.

Beim Angriff auf das Hausprojekt, sei Sebastian W. nicht »täterschaftlich« in Erscheinung getreten, erklärt der Anwalt. Auch beim Anschlag auf die Wilsdruffer Straße habe er sich nur der Beihilfe schuldig gemacht, erklärt der Verteidiger. Er habe den Fluchtwagen gefahren und sei an der Tatplanung nicht beteiligt gewesen.

Dann übernimmt der zweite Verteidiger von Sebastian W. RA Meyer. Er sagt zu Beginn, dass er sich keine allzugroße Wirkung des Plädoyers erwarte. Außerdem attackiert er den Verteidiger von Justin S., der dessen Vernehmung »selbst vorangebracht« habe. Nur aufgrund des hohen Drucks in der Vernehmung sei dessen Aussage zustande gekommen, dass die eingesetzten Sprengkörper tödlich sein könnten. Der Verteidiger von Justin S. habe ihm einen »Bärendienst« erwiesen.

Die Todesgefahr im Fall der Wilsdruffer Straße sei »so gering« gewesen, dass sie vernachlässigbar sei. Das hätten auch die »sächsischen Topjuristen« erkannt. Meyer glaube nicht, dass die sich allesamt geirrt haben sollen. Die Kriterien einer Vereinigung lägen ebenso nicht vor, erklärt der Anwalt. Sein Mandant sei nur »eine Randfigur«, die bei ihm sichergestellten zwei DumBum-Böller seien »nicht einmal für Silvester geeignet«.

Meyer erklärt außerdem, dass er sich den Ausführungen von RA Kohlmann anschließe, wonach Politik im Gerichtssaal nichts zu suchen habe. Anschließend geht er nochmal auf die sogenannte Flüchtlingskrise ein. Er verweist auf die Zahlen seines Kollegen und ergänzt, dass »nahezu täglich« Turnhallen geschlossen worden seien. Die Bevölkerung sei nicht informiert worden, die Menschen seien »mit Sorgen und Ängsten« allein gelassen worden. Zum Hotel Leonardo könne er außerdem berichten, dass das »mitten in einem Wohngebiet« liege. Es sei zu »massiven Lärmbelästigungen« gekommen. Seine Hinweise sollen die Taten aber nicht relativieren, so der Verteidiger weiter. Er schließt mit der Forderung seinen Mandanten zu einer Haftstrafe von maximal drei Jahren zu verurteilen.

Anschließend folgt das letzte Plädoyer. Der Verteidiger von Rico K. RA Thomas beginnt seinen Schlussvortrag mit dem Hinweis, dass die Beweisaufnahme nicht ergeben habe, dass sein Mandant »Funktionsträger« in der Gruppe Freital gewesen sei. Belege für Nationalismus und Rassismus oder eine nationalsozialistische Einstellung, könnten seinem Mandanten ebenfalls nicht nachgewiesen werden. Er sei nicht auf den Windbergfotos, auch seien keine einschlägigen Beweismittel in der Wohnung aufgefunden worden.

Weiterhin sei er nicht an den Sprengversuchen beteiligt gewesen und habe von den Taten vor dem 18. Oktober 2018 keine Kenntnis gehabt. Er habe außerdem bestritten in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und habe auch in der Freien Kameradschaft Dresden nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Überhaupt würden für den Vorwurf einer terroristische Vereinigung entscheidende Kriterien nicht erfüllt. So habe sich die Gruppierung keinen Namen gegeben, keine Mitgliederliste und keine gemeinsamen Finanzen geführt.

RA Thomas sieht außerdem, und das sei strafmildernd zu berücksichtigen, ein Staatsverschulden, »zumindest nicht unerhebliche Versäumnisse.« Die von der Bundesregierung praktizierte Einwanderungspolitik sei »ein Baustein für die vorliegende Tatserie«. RA Thomas erklärt, dass das »Abendland« nicht untergegangen sei, »Merkels Flüchtlingspolitik« habe Deutschland aber verändert. Thomas meint, dass der Anstieg rechtsextremer Straftaten »direkte Folge« dieser Politik sei.

Sein Kollege RA Flemming setzt fort. Er verweist auf eine Aussage Rico K.s bezüglich des Anschlags Wilsdruffer Straße: Wenn man vor gehabt hätte jemanden zu töten oder zu verletzten, dann wäre das an anderer Stelle »leichter möglich« gewesen. Der Verteidiger argumentiert außerdem gegen den bedingten Tötungsvorsatz, sein Mandant habe zudem keinen aktiven Tatbeitrag geleistet, allenfalls »psychische Beihilfe«.

Dass Rico K. durch seine Teileinlassungen die Strafverfolgung weiterer Täter im Fall Overbeckstraße möglich gemacht habe, sei strafmildernd zu berücksichtigen. Insgesamt sei daher eine Gesamtstrafe von zwei Jahren angemessen.

Der Vorsitzende Richter Fresemann kündigt an, die Verhandlung am 27. Februar 2018 fortsetzen zu wollen. Die Angeklagten, mehrere hätten das angekündigt, haben an diesem Termin die Möglichkeit letzte Worte zu äußern. Außerdem kündigt ein Nebenklagevertreter eine kurze Replik zu den Plädoyers an, Oberstaatsanwalt Hauschild will nochmals auf die Äußerungen von RA Kohlmann eingehen. Mehrere Verteidiger beanstanden die Unterbrechungsverfügung. Der Senat bestätigt aber nach einer halbstündigen Beratung die Verfügung.

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