Eintrag 26. Januar 2018

24. Januar 2018: 69. Verhandlungstag

Die Verteidigung beginnt mit den Plädoyers. Die Verteidiger von Timo S. sehen den Tatvorsatz für einen versuchten Mord nicht erfüllt und verweisen auf die geringe Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Splitterverletzung. Ähnliches sagt auch die Verteidigung Patrick F.s, sie ergänzt außerdem, dass weder eine terroristische, noch eine kriminelle Vereinigung zu erkennen sei. Die Taten seien lediglich »spontane Frustaktionen«.

Zuerst plädiert die Verteidigung des Angeklagten Timo S., es beginnt RA Sturm. Er fordert, abweichend vom Strafantrag der Bundesanwaltschaft, eine Verurteilung seines Mandanten u.a. wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Gefährlicher Körperverletzung sowie eine Gesamtstrafe von sieben Jahren.

Anschließend erläutert Sturm seine Forderung. Die Tat in der Wilsdruffer Straße sei kein Mordversuch, da der Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen sei. Timo S. habe dazu keine Angaben gemacht, durch sein Schweigen sei der Tötungsvorsatz also nur mit Indizien nachzuweisen.

Zentrales Argument der Anklage sei hier die »allgemein bekannte Gefährlichkeit der eingesetzten Sprengkörper«. Diese Gefährlichkeit, so Sturm weiter, sei aber nicht offensichtlich: »Da ist nix evident.« Der Anwalt macht dazu eine Wahrscheinlichkeitsberechnung auf: Wie hoch ist die Chance, dass ein Splitter eine Halsfläche von drei mal zwei Zentimetern Größe treffe? Er sei bei seiner Rechnung von einer halbkugelförmigen Ausbreitung der Splitter ausgegangen und von einem Abstand vom Explosionszentrum von einem Meter. Dabei entstünde eine Oberfläche von 62.000 Quadratzentimetern. Die Chance eine sechs Quadratzentimeter große Fläche zu treffen, läge also bei 0,01 Prozent. Von einer »hohen Wahrscheinlichkeit« könne hier nicht die Rede sein, erklärt der Rechtsanwalt. Den Angeklagten könne deswegen kein Tötungsvorsatz vorgeworfen werden.

Ein weiteres Indiz, dass die Gefährlichkeit nicht allgemein bekannt sei, ergäbe sich aus den Vernehmungen. Die Beamten hätten dort nicht nach einem Tötungsvorsatz gefragt, hätten also diese Gefährlichkeit der Splitterwirkung ebenfalls nicht gesehen.

Timo S. sei für die Tat Wilsdruffer Straße außerdem nur als »Gehilfe« zu verurteilen. Es habe im Vorfeld »kommunikative Beiträge« von Timo S. gegeben: »Das sind aber keine Tathandlungen.« Tathandlung sei lediglich »das Anzünden des Feuerzeugs«, das beträfe aber nur die Personen, die tatsächlich ein Feuerzeug in der Hand hatten. Dass es sich bei der Tat nicht um eine Tat von Timo S. gehandelt habe, zeige sich außerdem darin, dass er sein Handy angeschaltet gelassen habe. Das entspreche nicht dem üblichen konspirativen Vorgehen. Die Aussage von Justin S., Timo S. sei in der Gruppe ein Wortführer, entspringe außerdem einer Belastungstendenz gegen seinen Mandanten, so Sturm. Das Motiv: Justin S. wolle seinen Tatbeitrag mindern.

Der Anwalt erklärt außerdem, dass es sich bei der Gruppierung lediglich um eine kriminelle, nicht um eine terroristische Vereinigung handele. Das ergäbe sich aus dem ersten Argument: Der Paragraf 129a sei nicht anzuwenden, wenn kein Tötungsvorsatz vorliege. Der terroristischen Vereinigung fehle dann das Ziel. Zudem sei Timo S. bei der Tat Wilsdruffer Straße nicht mehr Rädelsführer gewesen, schließlich sei er mit einer Brandstiftung an einem ehemaligen Einkaufsmarkt »woanders aktiv« gewesen.

Nach einer kurzen Unterbrechung erläutert RA Bürger die Gründe, weswegen Timo S. im Rahmen der Ermittlungen »Aufklärungshilfe« geleistet habe und diese strafmildernd zu berücksichtigen seien. Der Anwalt verweist auf »viele Zeugenaussagen«, die bestätigt hätten, dass die Aussage von Schulz von Bedeutung gewesen sei, etwa auf die Aussage von Staatsanwältin Schmerler-Kreuzer. Timo S. habe Angaben, so der Verteidiger, zu Taten und Tätern gemacht, etwa bei den Brandstiftungen in Freital, zu den Ausschreitungen in Heidenau oder den Angriffen auf eine Asylunterkunft in Dresden-Stetzsch. Diese Taten seien hinsichtlich der Strafmilderung relevant, weil sie aus dem gleichen Motiv begangen wurden, wie die zentralen Anklagepunkte.

Als zweites plädiert die Verteidigung von Patrick F., die ein gemeinsames Plädoyer hält. RA Elbs beginnt und erklärt, dass der Strafantrag der Bundesanwaltschaft »bei weitem das Maß der Schuld« übersteige, dass sein Mandant auf sich geladen habe – selbst dann wenn die Bundesanwaltschaft bei der Beurteilung richtig läge. Man läge nur vier Jahre unter der Höchststrafe, das sei »völlig überzogen und unverhältnismäßig.«

Der Nebenklage wirft der Verteidiger »oberlehrerhafte Erklärungen« und »Missbrauch« vor, da sie sich als »politische Akteure« fühlen würden. Zugleich sei die Nebenklage »tief gespalten«.

Elbs führt zu den Tatvorwürfen aus, dass man die »im wesentlichen« wie die Bundesanwaltschaft sehe, aber sowohl die Existenz einer terroristischen Vereinigung, als auch den Vorwurf eines versuchten Mordes bestreite. Im Falle des Angriffs auf die Overbeckstraße gehe man von einem »nicht vollendeten Sprengstoffdelikt« aus, eine Gefährdung von Leib und Leben sei nicht festgestellt worden. Ihr Mandant habe die Taten glaubhaft gestanden und sich »zum Beweismittel gegen sich selbst« gemacht.

Details führt dann RA Schieder aus. Er bezeichnet das Verfahren als »problematisch« und verweist auf die Zeugen aus der Wilsdruffer Straße, denen er ein »ambitioniert kreatives Verhältnis zur Wahrheit« unterstellt. Außerdem stelle sich in dem Fall »die Frage der Erheblichkeit«. Der Vorfall sei lediglich »aufgebauscht«, hinzu käme die »Uneinigkeit« der Zeugen. Bei der Tat Overbeckstraße behauptet Schieder, dass die Betroffenen gar keine Polizei rufen wollten.

Den Nebenklagevertretern hält Schieder aufgeregt vor: »Ihre Fragen grenzen an Körperverletzung.« Er verweist auf die Aussage von Niels A., der »derart attackiert« worden sei, dass der Notarzt gerufen werden musste.

Angesichts der Verfahrensumstände bleibe den Verteidigern nur »pastorale Urteilsbegleitung«. Der Vorwurf des §129a und der Mordversuch sei nur durch die Bundesanwaltschaft eingeführt worden. Aber sein Mandant habe keine Kenntnis davon, dass die »Böller« an eine Fensterscheibe angebracht, zu einer tödlichen Splitterbombe werden. Davon sei keiner der Beteiligten ausgegangen. Außerdem habe sein Mandant ausgesagt, dass »der Böller« auf dem Fenstersims »abgelegt« worden sei, was die Splitterwirkung reduziere.

Verletzungen seien äußerst unwahrscheinlich, selbst wenn der Hals von einem Splitter getroffen werde. Der Weg zum Tatort sei gefährlicher, so Schieder weiter. Ein Vorsatz läge jedenfalls nicht vor. Ein Tötungserfolg gäbe es nur beim Zusammentreffen »mehrerer extrem unwahrscheinlicher Faktoren.«

Gegen den Vorwurf der terroristischen Vereinigung führt Schieder aus, dass es sich »um Spontantaten« gehandelt habe. Auch fehle eine gemeinsame ideologische Grundlage: Die sei »derartig inhomogen«, das keine gemeinsame politische Grundhaltung zu erkennen sei. Außerdem gäbe es kein Vereinslokal und keine einheitliche Gruppenbezeichnung. Treffen an der Aral-Tankstelle gegenüber vom Polizeirevier würden einer konspirativen Vorgehensweise widersprechen. Außerdem hätten »propagandistische Veröffentlichungen« gefehlt und ein erkennbarer Gruppenwille. Es habe außerdem »keine festen Themen«, »keine festen Mitglieder« und auch »keinen Gruppenzwang« gegeben. Zum Zeitpunkt der Verhaftung habe jedenfalls eine terroristische Vereinigung »nicht existiert«, die Taten seien »spontane Frustaktionen« gewesen. Selbst eine kriminelle Vereinigung vermag Schieder nicht zu erkennen.

Erneut übernimmt RA Elbs die Ausführungen zur Strafzumessung. Strafmildernd sei zu berücksichtigen, dass sein Mandant nicht vorbestraft sei, aus »echter Reue und Schuldgefühl« ein Geständnis abgelegt und mit den Geschädigten, der Anwalt verweist auf einen Brief an Michael Richter, »einen kommunikativen Prozess angestoßen« habe. Hinzu käme, dass die eingesetzten Feuerwerkskörper in Tschechien »freiverkäuflich« seien. Außerdem sei auch die Frage nach einem staatlichen Mitverschulden zu stellen: Damit meine er ausdrücklich nicht die Entscheidung der Bundeskanzlerin Merkel im Sommer 2015 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, sondern verweist auf Äußerungen von Horst Seehofer, der von einer »Staatskrise« gesprochen habe, oder von Wolfgang Schäuble, der die Fluchtbewegung als »Lawine« bezeichnet habe. Solche Äußerungen, so Elbs, förderten keinen gesellschaftlichen Frieden.

Aufgrund dieser Gründe sei die Strafe am unteren Rand des Strafrahmens anzusiedeln. Elbs empfiehlt eine Gesamtstrafe »von nicht mehr als sechs Jahren«.

Sowohl Timo S. als auch Patrick F. verzichten auf weitere Worte zu ihrer Verteidigung. Damit ist der Verhandlungstag nach gut drei Stunden beendet.

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