Eintrag 30. August 2017

23. August 2017: 43. Verhandlungstag

Heute vernimmt das Gericht mit Matthias Ro. den leitenden Sachbearbeiter der Ermittlungsgruppe Deuben. Der wichtige Zeuge wurde kurzfristig geladen, nachdem zuvor angesetzte Vernehmungen verschoben werden mussten. Auch sonst setzt das Gericht auf Tempo: Trotz umfangreicher Ermittlungsbeteiligung wird Ro.s Befragung am heutigen Verhandlungstag beendet.

Zunächst berichtet KHK Ro. zu den Ermittlungen um den Anschlag auf das Fahrzeug des Linken-Stadtrats Richter. Zuständig sei der Regionale Ermittlungsabschnitt Dresden des OAZ gewesen. Infolge von Personalmangel sei Ro. aus Bautzen dorthin abgeordnet wurden. Er habe die Ermittlungen wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion allein geführt. Am Tag nach der Tat habe er sich den PKW angeschaut, die Schäden hätten ihm klar gemacht, dass es sich nicht um einen »Dumme-Jungen-Streich« handele. Immerhin sei das Dach deutlich nach oben ausgebeult gewesen und die Türen hätten sich nicht mehr schließen lassen. Der zuständige USBV-Techniker habe ihm mitgeteilt, dass die Explosion vermutlich durch Cobra-6 oder -12 verursacht worden sei.

Ro. habe veranlasst, dass die Videoaufnahmen zweier Tankstellen vom Tatabend gesichert werden, außerdem seien die Verbindungsdaten der Funkzelle am Tatort erfasst worden. Eine Auswertung von Social Media-Kanälen habe nichts ergeben. Auf den Einsatz von Mantrailer-Hunden habe Ro. verzichtet. Später habe sich dann ein Zeuge gemeldet, der behauptet habe, er kenne den Täter. Er habe eine weitere Person benannt, aber tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung haben sich daraus nicht ergeben. Ro. rechne beide Personen dem städtischen »Trinkermilieu« zu. Vernommen wurde auch P., der Fotos vom zerstörten PKW an die Facebookseite »Bürgerwehr FTL/360« geschickt hat. Außerdem habe das örtliche Polizeirevier auch angeregt in Richtung Versicherungsbetrug zu ermitteln. Aber auch das sei ergebnislos gewesen. Ende August sei der OAZ-Beamte dann zurück nach Bautzen gegangen, die Ermittlungen zum PKW und einer zerstörten Briefkastenanlage seien in Dresden verblieben.

Am 21. September 2015 sei KHK Ro. erneut nach Dresden zur neugegründeten EG Deuben abgeordnet worden. Er habe dort mit zwei weiteren Kollegen zusammengearbeitet. Am 29. September sei Axel G. aufgrund einer TKÜ des Staatsschutzes Dresden in den Fokus gerückt. Zur Tat PKW Richter habe sich aber längere Zeit nichts ergeben. Erst im Dezember 2015 mit der Aussage von Timo S. sei »die Sache aufgegangen«, so der Ermittler. Aufgrund der Aussage von Timo S. sei klar geworden, dass es zwei »Anläufe« gab, den PKW zu zerstören. Timo S. sei nur bei dem Ersten beteiligt gewesen.

Nächstes Thema in der Befragung ist der Anschlag auf das Parteibüro der Linken am 20. September 2015. KHK Ro. berichtet, dass auch hier wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion ermittelt worden sei. Sie hätten erneut Videoaufnahmen der Aral-Tankstelle gesichert und Verbindungsdaten erhoben. Eine Zeugin, die über dem Büro wohnt, habe kurz vor der Explosion die Schritte einer weglaufenden Person gehört, aber nichts gesehen. Später hätten die Ermittler eine Whatsapp-Nachricht von Timo S. gefunden, in der es geheißen habe: »Der Vortrag am nächsten Tag muss verhindert werden.« Auffällig seien auch die Angaben von Mike S. in einer Befragung gewesen. Sie waren unstimmig im Hinblick auf die von ihm angegebene Fahrzeit vom Arbeitsort zur Aral-Tankstelle. Auch wolle er nichts von einer Explosion gehört haben. Aus der Vernehmung von Sebastian S. hätten die Ermittler dann erfahren, dass der Sprengkörper mit doppelseitigem Klebeband an der Fensterscheibe angebracht worden sei. Insgesamt konnte die EG Deuben für die Tat vier Beschuldigte identifizieren: Sebastian S., Philipp W., Patrick F. und Mike S.

Vom Anschlag Overbeckstraße hätten die Ermittler erst am Tag danach erfahren, nachdem sie die aufgelaufenen TKÜ-Mitschnitte ausgewertet haben. Die TKÜ sei seit dem 9. Oktober aktiv gewesen, bis dahin aber ohne relevante Gespräche. Deswegen habe man auf eine Live-Überwachung verzichtet, sie sei »sachlich nicht nötig« gewesen, so der Ermittlungsleiter.

Die Tat selbst sei zuvor vom zuständigen Polizeirevier als Sachbeschädigung aufgenommen worden. Für Ro. sei das allerdings bis heute nicht verständlich. Es sei schon allein wegen der Größe der aufgefundenen Pyrotechnik klar gewesen, dass hier von einer schwereren Straftat auszugehen sei. Die EG Deuben habe den Vorgang entsprechend umklassifiziert zum Vorwurf Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und die Sachbearbeitung übernommen. Auch in diesem Fall seien Verbindungsdaten erhoben worden, gefunden wurden Datensätze der Angeklagten Maria K. Die Vernehmung von Torsten L. habe den Tatablauf erhellt, das arbeitsteilige Vorgehen in zwei Gruppen sei deutlich geworden, außerdem, dass die Tatvorbereitung über Kakaotalk erfolgt sei und auch am »Protestcamp« stattgefunden habe.

KHK Ro. verweist außerdem auf einen Whatsapp-Chat zwischen dem Angeklagten Patrick F. und dem zur Freien Kameradschaft Dresden gerechneten Maximilian R., in dem sie über einen Vorfall am »Protestcamp« vor der Übigauer Turnhalle sprechen und beschließen deswegen das Wohnprojekt anzugreifen. Patrick F. erklärt: »Wir gehen heute da rein, da fliegt definitiv was rein.« Sein Gegenüber zeigt sich erfreut und kündigt an Leute mobilisieren zu wollen.

Die Befragung einer Hausbewohnerin eine Woche nach der Tat sei nicht zustande gekommen, da die Zeugin krank gewesen sei. Bei einem weiteren Termin sei auf die Gefahr einer Selbsbelastung hingewiesen worden und auf die diesbezüglich schlechten Erfahrungen bei einem anderen Angriff auf ein Hausprojekt in Dresden-Löbtau am 18. Februar 2011. Bei den anderen Hausbewohnern habe sich die EG nicht um eine Befragung bemüht. KHK Ro. meint, wenn die Verantwortliche nicht mit der Polizei sprechen wolle, dann gelte das sicherlich auch für die »Untergeordneten«.

Von der Verletzung eines Hausbewohners habe der Ermittler erst erfahren, nachdem er die Vernehmung des BKA gelesen habe. Überrascht habe ihn dieses »Pfeifen im Ohr« aber nicht. Ähnliche Symptome seien etwa nach Einsätzen der Bereitschaftspolizei »nicht unüblich«, wenn dort mit Pyrotechnik geworfen wurde.

Auf die Frage, ob alle Angreifer bekannt gemacht wurden, bestätigt das KHK Ro. für diejenigen von der Gruppe Freital. Wie es bei der Freien Kameradschaft Dresden aussehe, wisse er nicht. Dass man sich auf die Freitaler konzentriert habe, erklärt Ro. damit, dass es sich um Haftsachen gehandelt habe. Die Staatsanwältin Kirchhof habe ebenfalls deutlich gemacht, dass die Dresdner erstmal keine Priorität hätten.

Der OAZ-Ermittler erklärt auch, dass spätestens seitdem die Kakaotalk-Chats durch Torsten L. vorgelegt worden sind, der Verdacht nahe lag, dass die Taten als Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt werden können. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens habe aber deutlich gemacht, dass sie nicht genügend hinreichende Verdachtsmomente sieht. Das sei bei einem Treffen am 28. Oktober 2015 erklärt worden, bei dem sich Vertreter der EG Deuben mit vier Staatsanwälten, darunter der Leiter der Staatsschutzabteilung Jürgen Schär, getroffen haben sollen. Auch danach, bis zur Übernahme durch die Bundesanwaltschaft im April 2016, habe die zuständige Staatsanwältin Kirchhof darauf bestanden, dass die Taten als Einzelstraftaten bearbeitet werden.

Die Konfussion über unterschiedliche Dienstvorgesetzte kann KHK Ro. erklären. Bis zur Übernahme des Verfahrens durch die Generalstaatsanwaltschaft am 29. Oktober 2015 sei die EG Deuben beim Regionalen Ermittlungsabschnitt Dresden angesiedelt gewesen. Leiter des Abschnitts sei EKHK G., der vor Gericht bereits ausgesagt hat. Danach sei man dem Zentralen Ermittlungsabschnitt zugewiesen worden, weil dieser mehr Erfahrungen mit Strukturermittlungen besäße. Vorgesetzter sei hier EKHK Kä. gewesen. Ro. erklärt auch, dass die Arbeit zuvor nicht immer reibungsfrei verlaufen sei. Es habe immer mal unterschiedliche Meinungen gegeben, wie vorzugehen sei. EKHK G. habe in vielen Sachen »mitgewirkt«, »nicht immer auf unseren Wunsch hin«, so Ro. weiter. Die von G. ins Spiel gebrachten »generalpräventiven Maßnahmen« habe es seiner Erinnerung nach nicht gegeben, die EG Deuben sei lediglich repressiv tätig geworden.

Weiteres Thema in der Befragung ist die Verletzung eines Bewohners der Wilsdruffer Straße. Hier habe KHK Ro. nach erfolgter Entbindung von der Schweigepflicht die ärztlichen Unterlagen angefordert. Darüberhinaus berichtet Ro. über die Auswertung der Dienspläne von Timo S. und Philipp W., die insbesondere mit Blick auf die Tattage erfolgt sei, und über die Auswertung von Lichtbildern auf dem Mobiltelefon von Torsten L., als Zuarbeit für das Bundeskriminalamt.

Zur Vernehmung von Patrick F. berichtet der Polizeibeamte, dass der Beschuldigte gut vorbereitet gewesen sei. Er habe in »feinstem Beamtendeutsch« Stellung genommen, so Ro. weiter. Allerdings habe er bei Themen, in denen er nicht »sattelfest« war, »drumherum« geredet. Namen von den Dresdnern, die an der Overbeckstraße beteiligt waren, habe er nicht genannt. Als eine Nebenklagevertreterin nach den Kontakten zu Polizeibeamten fragt, interveniert die Bundesanwaltschaft. Staatsanwalt Neuhaus meint, der Zeuge habe hierzu keine Aussagegenehmigung. Klar wird zumindest, dass es eine weitere Befragung von Patrick F. durch das Dezernat für Amtsdelikte gegeben hat, in denen es um dessen Verbindungen zu Polizeibeamten ging. Offenbar sollen diese Hintergründe aber nicht thematisiert werden.

In der Abschlussbefragung des Zeugen werden nochmals Lücken in der Beweiserhebung deutlich. So hat die Ermittlungsgruppe auf eine umfassende Auswertung des Kakaotalkchats verzichtet. Stattdessen habe man nur die Zeiträume konkreter Taten ausgewertet. Diese Einschränkung sei aufgrund knapper personeller Ressourcen vorgenommen worden, erläutert Ro.

Nach einer gut vierstündigen Befragung wird der Leitende Ermittler der EG Deuben entlassen.

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