Eintrag 22. Dezember 2017

20. Dezember 2017: 63. Verhandlungstag

Nach eine kurzen Vernehmung einer LKA-Beamtin beschäftigt sich das Gericht mit den Beweisanträgen. Ein großer Teil der Anträge wird heute entschieden und verworfen. Darunter auch die Anträge eines Nebenklagevertreters zur Vernehmung der Polizeibeamten, die im Verdacht gestanden haben, Informationen an die »Gruppe Freital« weitergegeben zu haben.

Zunächst befragt das Gericht die Zeugin KHK Kathleen B. vom LKA Sachsen. Sie soll vor allem zur Bedeutung der Aussage von Timo S. für das Verfahren gegen die »Freie Kameradschaft Dresden« (FKD) aussagen. Die Beamtin, die 2015 für das Operative Abwehrzentrum mit dem Angriff auf die Asylunterkunft in der Podemusstraße befasst war, erklärt dass die Aussage für ihre Ermittlungen zu diesem Tatkomplex nicht relevant gewesen sei. Sie berichtet, dass sie sich vor allem auf die Aussagen des Beschuldigten Dominik P. gestützt habe. Mit ihm seien Ende November bis Anfang Dezember 2015 drei Vernehmungen geführt worden: »Nur durch ihn« hätte sie erfahren, wer am Angriff auf die Asylunterkunft Podemusstraße dabei gewesen sei.

Dominik P. habe in der zweiten oder dritten Vernehmung Timo S. als Beteiligten benannt. Ansonsten habe die Zeugin mit Timo S. »nie etwas zu tun gehabt«. Dessen Aussagen habe sie später in einem Auswertevermerk »aufgegriffen« und als »Quelle dazu genommen« und denen von Dominik P. gegenübergestellt.

Im Anschluss an die kurze Befragung nimmt die Bundesanwaltschaft Stellung zu den Beweisanträgen, die in der letzten Sitzung gestellt wurden. Sie empfiehlt fast ausnahmslos die Ablehnung der Anträge, teilweise weil die zu beweisenden Tatsachen bereits durch die Hauptverhandlung erwiesen worden seien, teils weil die vorgebrachten Beweisanträge für die Sache »ohne Bedeutung« seien und dementsprechend für das Urteil ohne Relevanz blieben.

Auch der Nebenklagevertreter des Hausprojektes Mangelwirtschaft bezieht zu einigen der Beweisanträge Stellung. RA Nießing tritt insbesondere den Anträgen der Verteidigung Rico K.s entgegen. Diese wollen erneut eine der Nebenklägerinnen als Zeugin zu einem Vorfall vernehmen, bei dem einer der Teilnehmenden der Turnhallen-Blockade verletzt worden sein soll. Das allerdings sei eine Wiederholung der Beweiserhebung, die die Strafprozessordnung nicht vorsieht. Die Nebenklägerin habe dazu bereits in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass sie dazu keine Erkenntnisse habe. Die Verteidigung erhoffe sich durch die Thematisierung des Vorfalls offenbar eine Strafmilderung für ihren Mandanten. Das sei aber ein »untauglicher Versuch«. Nur aufgrund eines »vagen Verdachts hin«, einzelne Bewohner*innen des Hausprojekts könnten in den Vorfall involviert gewesen sein, sei keine Strafmilderung zu erwarten.

Zum Antrag der Verteidigung Maria K.s, der türkische Name des Hundes und ihre Homosexualität würden belegen, dass sie keine rechtsextreme Einstellung habe, erklärt der Nebenklagevertreter, die Schlussfolgerung sei »lächerlich«. Homosexualität und rechtsextreme Einstellung stünden in keinem Zusammenhang, schlössen sich also auch nicht gegenseitig aus. Das zeigten etwa der SA-Führer Ernst Röhm oder der deutsche Neonazi-Anführer Michael Kühnen. Bezüglich des Hundenamens sei zudem unklar, ob der überhaupt von Maria K. selbst gewählt worden sei. Die ablehnende Haltung der Bundesanwaltschaft, die Polizeibeamten zur möglichen Informationsweitergabe an die Gruppe Freital zu vernehmen, kommentiert der Anwalt als nicht überraschend: Die Bundesanwaltschaft habe kein Interesse Fehlleistungen von Beamten zu thematisieren.

Dann verkündet der Senat Entscheidungen zu den Beweisanträgen. Die von zwei Verteidigungen beantragte Beiziehung der Ermittlungsakten aus dem FKD-Verfahren wird abgelehnt. Aus den Anträgen sei keine »bestimmte Beweistatsache« zu entnehmen. Der Vorsitzende Richter verweist außerdem darauf, dass die Aktenteile mit Bezug zum Angriff auf die Overbeckstraße beigezogen und sowohl der federführende OAZ-Ermittler, als auch der anklageführende Staatsanwalt vernommen worden sind.

Abschlägig entschieden, wird auch der Antrag zur Vernehmung eines Polizeibeamten hinsichtlich der GPS-Daten aus der Observierung des Angeklagten Timo S. Hierzu wurde bereits ein Zeuge gehört, die im Antrag benannte Beweistatsache gelte damit als erwiesen. Ebenfalls abgelehnt wird ein Antrag auf Vernehmung eines »Ohrenzeugen« des Anschlags auf den PKW Michael Richters. Der beantragte Zeuge habe lediglich Personen »wegrennen« gehört. Rückschlüsse auf die Identität von Personen seien hier nicht zu erwarten.

Der Senat lehnt dann den Antrag der Verteidigung Rico K.s ab, zwei Zeuginnen – eine tritt im Verfahren als Nebenklägerin auf und wurde bereits befragt – zu einer Körperverletzung am Vorabend des Angriffs auf das Hausprojekt Mangelwirtschaft zu vernehmen. Hier bestehe kein Zusammenhang mit der Urteilsfindung, führt der Vorsitzende Richter aus. Überdies thematisiere der Beweisantrag nurdieVermutung einer Zeugin, die die Nebenklägerin mit den Worten angesprochen haben soll: »Eure Freunde waren gerade hier.«

Abgelehnt wird der Antrag weitere Bewohner*innen des Hausprojektes, sowie weitere Tatzeug*innen zu vernehmen. Der Antrag wolle die »Abwehrbereitschaft« des Hauses beweisen, das sei aber bereits in der Hauptverhandlung geschehen. So hätten die geladenen Zeug*innen dargestellt, dass am Haus eine Flutlichtanlage installiert gewesen sei, dass sich Gedanken um die Abwehr möglicher Angriffe gemacht wurde, dass außerdem Farbbeutel und Glasflaschen geworfen wurden, und dass ein Teil der Bewohner*innen vermummt war und in einem Fall ein Zeuge berichtet habe, dass er sich im Moment des Angriffs eine Eisenstange gegriffen habe. Ob darüberhinaus mit »Gurkengläsern« geworfen worden sei, sei »unerheblich« und ohne Bedeutung für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch.

Dem Antrag der Verteidigung von Maria K., einen Steuerbescheid und einen Auszug aus einem Langenscheidt-Wörterbuch Deutsch-Türkisch/Türkisch-Deutsch zu verlesen, kommt das Gericht nach. Aus dem verlesenen Steuerbescheid geht hervor, dass Maria K.s Hund, ein Staffordshire Bullterrier, den Namen »Boncuk« trage, was in deutscher Übersetzung »Glasperle« bedeute.

Das von der Verteidigung von Mike S. beantragte Sachverständigengutachten in Form einer »demoskopischen Untersuchung« wird abgelehnt. Ob die Befragten einer solchen Untersuchung »Kenntnis von der Drosselvene« haben, sei für die Entscheidung »unerheblich«. Es sei »allgemeinkundig«, dass der Halsbereich für Schnittverletzungen »sehr anfällig« sei, so Fresemann in der Begründung. Das sei auch für den Laien erkenntlich.

Ebenfalls verworfen wird der Antrag auf Einholung eines weiteren rechtsmedizinischen Gutachtens zur Folge von Splitterverletzungen. Im Beweisantrag wird behauptet, die Lebensgefährlichkeit der Glas- und Fenstersplitter bei den Angriffen auf die von Asylsuchenden bewohnten Räume sei »rein theoretischer Natur«. Das rechtsmedizinische Gutachten von Prof. Rothschild habe aber das Gegenteil erwiesen. An dessen Sachkunde gäbe es keinen Zweifel, er habe sich als Experte für Bombenverletzungen und Wundballistik vorgestellt. Fehlende Erfahrung habe er lediglich auf den konkreten Fall angegeben: Den Einsatz von pyrotechnischen Sprengkörpern, die an Fenster angebracht werden.

Die Beweisanträge der Nebenklage Mangelwirtschaft werden vom Senat abgelehnt. Die Verlesung eines Zeit-Online-Artikels sei nur ein Beweisermittlungsantrag. Die beantragte Vernehmung der drei zeitweise beschuldigten Polizeibeamten berühre nicht die Merkmale der hier angeklagten Tatbestände und sei für die Rechtsfolgen unerheblich. Unerheblich sei auch die Vernehmung der beiden Organisatoren der Turnhallen-Blockade in Dresden-Übigau. Deren Kontakt, etwa mit Maria K., sei bereits durch die eingeführten Chatprotokolle erwiesen. Eine Bedeutung für die Strafzumessung könne der Senat hier nicht erkennen. Auch die Verlesung des FKD-Urteils wird abgelehnt. Der große Teil der zuletzt eingereichten Beweisanträge ist damit entschieden.

RA Franek nutzt die Hauptverhandlung, um noch einen weiteren Beweisantrag zu stellen. Er fordert ein Sachverständigengutachten zur Sprengstoffmenge, die bei den Hausdurchsuchungen am 5. November 2015 insgesamt sichergestellt wurde. Addiere man die Menge der Sprengmittel aus den sichergestellten Sprengkörpern seien das etwa 900g. Dass mehr Sprengstoff zur Verfügung gestanden habe, als etwa beim Anschlag Wilsdruffer Straße eingesetzt wurde, sei ein wichtiges Indiz dafür, dass den Angeklagten kein Tötungsvorsatz unterstellt werden könne. Franek verweist außerdem auf verschiedene Urteile des Bundesgerichtshofs, darunter verschiedene Angriffe mit dem Messer, bei denen der bedingte Vorsatz verworfen worden sei.

Nebenklagevertreter Hoffmann erklärt daraufhin, dass die Befragung des Sprengstoffsachverständigen ergeben habe, dass eine Verbindung der Sprengkörper keinesfalls einfach zu bewerkstelligen sei: Ein gleichzeitiges Zünden mehrerer Sprengkörper mittels Lunte sei sehr unwahrscheinlich. Die Variante, die Franek zum Thema macht, sei nicht erprobt gewesen. Die Angeklagten hätten aber die gefährlichste ihnen zur Verfügung stehende Variante gewählt. Zum Verweis auf die BGH-Urteile erklärt Hoffmann, dass diese aus dem Zusammenhang gerissen seien, ohne zu schauen, wie der BGH zu den konkreten Entscheidungen gekommen sei.

Oberstaatsanwalt Hauschild erklärt, dass die von Franek aufgeworfene Frage bedeutungslos sei. Die Beschlagnahme sei erst am 5. November 2015 und damit vier Tage nach der letzten Tat erfolgt. Dass dort ein möglicherweise »tödlicheres Mittel« vorliege, sage nichts über dessen Vorliegen zum Tatzeitpunkt aus. Zur Einschätzung über den Tatvorsatz wolle er in seinem Plädoyer ausführlich eingehen.

Zum Abschluss der Hauptverhandlung beantragen mehrere Verteidigungen die Aufhebung des Trennscheibengebots für ihre Mandant*innen. Außerdem wendet sich der Beisitzende Richter Scheuring an den Angeklagten Rico K.: Er habe zwei Monate nach dessen knapper Einlassung zahlreiche Nachfragen, etwa zum Angriff auf die Overbeckstraße und zum Anschlag Wilsdruffer Straße, außerdem zu seinen Verbindungen zur »Freien Kameradschaft Dresden«. Die Verteidigung erwidert, dass sie sich beraten werde, ob diese Fragen beantwortet werden.

Fortgesetzt wird die Hauptverhandlung am 9. Januar 2018.

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