Eintrag 21. November 2017

17. November 2017: 60. Verhandlungstag

Das Verfahren nähert sich dem Ende. Das Gericht verwirft zunächst einen Befangenheitsantrag und entscheidet dann über die eingebrachten Beweisanträge der Nebenklage: Es verliest einen Aktenvermerk und lehnt die weiteren Anträge ab. Erneut fragt das Gericht nach Beweisanträgen, einige Verteidiger kündigen erneut Beweisanträge an – gestellt wird jedoch nur einer. Der Verhandlungstag endet, wie er beginnt: Mit einem Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter.

Der heutige Verhandlungstag beginnt mit über einer Stunde Verspätung. Der Grund: Der Senat beschäftigt sich zunächst mit zwei Ablehnungsgesuchen gegen den Vorsitzenden Richter Fresemann seitens der Verteidigung von Rico K. und Maria K., die am Nachmittag des 14. November 2017 bei Gericht eingegangen waren. Die Ablehnungsgesuche beziehen sich auf eine Formulierung des Vorsitzenden Richters bei den rechtlichen Hinweisen für die Angeklagten Mike S. und Rico K. in der letzten Sitzung. Die Verteidiger bemängeln, dass sich Fresemann hier bereits vor Ende der Beweisaufnahme auf das »Vorhandensein einer terroristischen Vereinigung« festgelegt habe und damit befangen sei.

Der Beisitzende Richter Scheuring verkündet dann eine Beschluss: Die Ablehnungsgesuche seien zu verwerfen, schon weil die Anträge »verspätet« eingegangen seien. Die rechtlichen Hinweise seien bereits im Rahmen des Verhandlungstags am 10. November 2017 ausgeteilt worden. Hier hätte bereits reagiert werden können. Darüberhinaus seien die Ablehnungsgesuche unbegründet, das zeige auch eine dienstliche Äußerung des Vorsitzenden.

Die Verteidigung von Rico K. drängt daraufhin auf eine 30-minütige Pause, der Vorsitzende sieht jedoch keine Veranlassung für eine Unterbrechung. Fresemann regt hingegen an, dass die Verteidigung seine Fortführung der Hauptverhandlung beanstandet. Das tut sie auch. Nach einer kurzen Unterbrechung weist der Senat die Beanstandung jedoch zurück.

Die Bundesanwaltschaft nimmt dann Stellung zu den Beweisanträgen der Nebenklageaus der letzten Hauptverhandlungund bestätigt ihre ablehnende Haltung. Bei keinem der Anträge handele es sich um einen Beweisantrag, sondern alle würden auf Schlussfolgerungen fußen, womit es lediglich Beweisermittlungsanträge seien. Im Wesentlichen seien die Anträge für die hier angeklagten Taten auch »irrelevant« und würden dazu keine neuen Erkenntnisse erbringen.

Eine Nebenklagevertreterin verweist auf die Rolle Michael Richters als Mandatsträger im Stadtrat von Freital. Durch seinen Wegzug, auch infolge der Anschlags, sei ein demokratisches Organ geschädigt worden. Das sei im Rahmen der Anklage nach §129a durchaus von Interesse. Oberstaatsanwalt Hauschild stellt daraufhin fest, dass es allein rechtliche Gründe seien, die gegen die Beweisanträge sprechen, im Fall von Michael Richter insbesondere darum, ob ein Zeuge ein zweites Mal vernommen werden könne. Das sei nicht unproblematisch. »Wir wollen die Tat aber nicht bagatellisieren«, so Hauschild weiter. So solle die Stellungnahme nicht verstanden werden.

Dann folgt ein Antrag der Verteidigung von Rico K. auf Beiziehung der Verfahrensakten aus dem Verfahrengegen die sogenannte Freie Kameradschaft Dresden. Ein Verteidiger von Mike S. beantragt die Vernehmung von zwei Gefängnispsychologen, die seinen Mandaten betreut hätten. Sie sollen bestätigen, dass die Umstände der »Sonderhaft« Mike S. besonders stark beeinträchtigt hätten. Gegebenenfalls sei das bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen. Das Gericht plant eine Vernehmung zum nächsten Sitzungstermin. Der Angeklagte Mike S. willigt ein, dass die Psychologen von ihrer Schweigepflicht entbunden werden.

Der Senat verliest als nächstes den Aktenvermerks eines BKA-Kommissars zur Identifizierung von Chatteilnehmenden. Am Chat, der aus dem »gelöschten Dateibereichen« des Mobiltelefon der Angeklagten Maria K. wiederhergestellt wurde, hätten demnach 23 Personen teilgenommen. Bei 22 davon sei eine Identifizierung gelungen. Der 23. Teilnehmer-Account sei nicht zu identifizieren gewesen, sei aber auch nicht in »verfahrensrelevante Kommunikation« eingebunden gewesen.

Nach der Verlesung geht die Verteidigung von Mike S. in Widerspruch. Die Verlesung dürfe nicht verwertet werden, weil eine Verlesung nur dann möglich sei, wenn keine Vernehmung Gegenstand des Aktenvermerks sei. Allerdings seien in den Vermerk auch Erkenntnisse aus Vernehmungen eingeflossen, das sei unzulässig.

Als nächsten Schritt bescheidet der Senat die Beweisanträge der Nebenklage. Fresemann erklärt, dass die Anträge abgelehnt werden. Die Gründe ähneln denen der durch die Bundesanwaltschaft Angeführten: die Vernehmung der Chatteilnehmenden sei nicht nötig, da deren Aussagen bereits durch das Selbstleseverfahren eingeführt worden seien. Die Vernehmung von Michael Richter wird abgelehnt, weil der Zeuge bereits bekundet habe, dass er nach dem Anschlag auf seinen PKW sein Verhalten erheblich geändert habe und Freital an den Wochenenden meide. Eine erneute Aussage könne den Aussagen kaum »neues Gewicht« hinzufügen. Die anderen Beweisanträge werden abgelehnt, weil sie nicht auf eine konkrete Beweistatsache abheben würden und lediglich »auf Schlussfolgerungen« gerichtet seien.

Erneut fragt der Vorsitzende Richter, ob noch Beweisanträge für die Hauptverhandlung zu erwarten seien. Die Verteidigung von Maria K., Rico K. und Mike S. kündigen Anträge an, die aber noch »in Vorbereitung« seien. Eventuell sollen auch noch weitere Zeugen gehört werden.

Der Prozesstag schließt mit einem weiteren Ablehnungsgesuch der Verteidigung von Rico K., die damit auf das zu Beginn zurückgewiesen Gesuch Bezug nehmen. Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden Richters gehe »inhaltlich an der beanstandeten Sache vorbei«, erklärt einer der beiden Anwälte. Aufgrund dieser »Weigerung« bestehe nun die Sorge, Fresemann sei befangen.

Fortgesetzt wird die Hauptverhandlung am 28. November 2017.

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